Sternengeschichten Folge 680: Die Astronomie der Rauhnächte
Shownotes
Sternengeschichten Folge 680: Die Astronomie der Rauhnächte
Wenn man sich in der Vorweihnachtszeit in den Buchläden umsieht, dann findet man dort nicht nur die übliche Literatur über Weihnachten und den Advent sondern meistens auch einen Schwung Bücher, die mit den "Rauhnächten" zu tun haben. Wenn man eines dieser Werke liest, dann hat man Glück, wenn es darin nur um die gesellschaftlichen und historischen Aspekte diverser Volksbräuche und -mythen geht oder um halbwegs sinnvoll formulierte Vorschläge, die Zeit rund um den Jahreswechsel zur Introspektion und Ruhe zu nutzen. Sehr viel öfter aber hat man Pech, und kriegt ein Buch, dass voll mit esoterischem Quatsch ist. Denn in der "magischen Zeit" der Rauhnächte kann man - so wird da oft versprochen - die Zukunft vorhersagen, böse Geister vertreiben, Wünsche wahr machen, Träume deuten, und so weiter.
Darum soll es in dieser Folge der Sternengeschichten natürlich nicht gehen. Sondern um das, was in kaum einem dieser Bücher erwähnt wird: Die astronomischen Hintergründe der Rauhnächte. Und um die zu verstehen, fangen wir am besten mal damit an zu klären, was eine Rauhnacht eigentlich ist.
Üblicherweise werden damit die zwölf Nächte zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar bezeichnet. Regional kann es aber auch unterschiedlich sein, und dann sind die Rauhnächte der Zeitraum zwischen dem 20. Dezember und Neujahr. Wir kommen darauf später noch zurück, aber es reicht vorerst zu wissen, dass die Rauhnächte grob den Zeitraum bezeichnen, den wir allgemein als "Zwischen den Jahren" bezeichnen. Und das ist auch schon der erste Hinweis auf die Astronomie. Denn eigentlich gibt es ja kein "Zwischen den Jahren". Das Jahr endet am 31. Dezember um Mitternacht und unmittelbar danach beginnt das nächste Jahr. So ist unser Kalender definiert - aber wir haben ja nicht immer den Kalender verwendet, den wir heute verwenden.
Natürlich basiert auch unser moderner Kalender auf dem Umlauf der Erde um die Sonne beziehungsweise auf der Drehung der Erde um ihre Achse. Wie man diese Einheiten von Jahr und Tag in einen sinnvollen Einklang bringt, habe ich ja schon in vielen Folgen der Sternengeschichten erzählt und ganz ausführlich in Folge 101. Da habe ich auch erklärt, dass das gar nicht so einfach ist, weil sich das nie ganz genau ausgeht und immer ein bisschen was übrig bleibt. Das ist der Grund, warum wir Schalttage und Schaltjahre haben - ansonsten würde der Kalender irgendwann nicht mehr mit den Jahreszeiten im Einklang sein und wir hätten den Nordhalbkugelwinter irgendwann, wenn der Kalender Juli anzeigt.
Wir haben den Kalender also ein wenig angepasst, aber früher war das noch deutlich anders. Da hat man sich beim Erstellen des Kalenders natürlich auch nach der Bewegung der Himmelskörper gerichtet. Aber in den meisten Fällen hat man sich dabei entweder an der Sonne oder dem Mond orientiert. Beim Mondkalender misst man die Zeit zwischen Vollmond und Vollmond und das ist ein Monat. Zwölf dieser Monate ergeben ein Jahr und das ist dann 354 Tage lang. Beim Sonnenkalender wartet man, bis die Erde einmal um die Sonne herum gelaufen ist. Beziehungsweise man betrachtet die scheinbare Bewegung der Sonne am Himmel; das läuft aufs gleiche hinaus. Auf jeden Fall war es auch schon für die frühen Zivilisationen durch genaue Beobachtungen der Abläufe am Himmel möglich, zu bestimmen, dass es gut 365 Tage dauert, bis sich in der Hinsicht alles wiederholt.
Sowohl Sonne als auch Mond sind wichtige Taktgeber für Landwirtschaft, für das religiöse Leben, und so weiter. Man will also gerne Monate und das Jahr berücksichtigen. Vor allem auch, weil ein reiner Mondkalender nicht funktioniert, zumindest dann nicht, wenn man will, dass bestimmte Daten immer zur ungefähr selben Zeit im Jahr stattfinden. Der islamische Kalender ist so ein reiner Mondkalender und deswegen bewegen sich dort Feiertage wie Ramadan durch das ganze Jahr.
Die meisten Kulturen haben deswegen Lunisolar-Kalender entwickelt, die beide Perioden irgendwie zusammenführen. Man hat dann also ein Jahr, dessen Dauer vom Lauf der Sonne (was in Wahrheit die Bewegung der Erde um die Sonne ist) bestimmt wird und das unterteilt ist in Monate, deren Dauer vom Mond bestimmt wird. So ein Lunisolarkalender kann "interkalierend" sein oder nicht. Und dieses komplizierte Wort bedeutet eigentlich nur "Einschub". Ein interkalierender Kalender ist zum Beispiel der alte römische Kalender. Weil ein Jahr aus zwölf Mondmonaten deutlich kürzer als ein Sonnenjahr ist, hat man - vereinfacht gesagt - gewartet, bis sich die fehlenden Tage wieder zu einem ganzen Monat aufsummiert haben und dann einen ganzen zusätzlichen Schaltmonat eingeführt. In unserem modernen Kalender haben wir das anders gelöst; wir haben zwar immer noch 12 Monate, aber die dauern nicht so lange, wie der Zeitraum zwischen zwei Vollmonden - was ca 29 Tage sind. Wir haben ihnen mehr oder weniger willkürlich Längen zwischen 28 und 31 Tagen zugeordnet, und weil sich das am Ende immer noch nicht ganz ausgeht, brauchen wir alle paar Jahre noch einen Schalttag, damit der Kalender nicht aus dem Ruder läuft.
Man kann das mit den Einschaltungen aber auch einfach ignorieren. Dann lässt man das Jahr 12 Mondmonate lang laufen, also 354 Tage lang. Das neue Jahr beginnt dann aber erst 11 Tage später, wenn ein Sonnenjahr mit 365 Tagen um ist. Diese elf Tage beziehungsweise 12 Nächte liegen dann quasi außerhalb der Zeit; sie zählen nicht wirklich - es sind "Tage zwischen den Jahren".
Natürlich sind auch das einfach ganz normale Tage, auch wenn sie in den jeweiligen Kalendern keine Bezeichung haben. Aber in den mythologischen Vorstellungen der Menschen waren das eben auch Tage, an denen die üblichen Gesetze nicht mehr gelten. In diesen Tagen außerhalb der Zeit ist alles möglich; es fallen die Grenzen zwischen der Welt der Lebenden und der Toten; zwischen den Welten von Göttern und Menschen und so weiter. Es haben sich diverse Bräuche entwickelt, um die bösen Geister und Dämonen, die in diesen Tagen angeblich umgehen, in Schach zu halten. Oder aber um mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Man hat Rituale entwickelt, Feste, und so weiter. Heute haben wir einen Kalender, dem zwischen den Jahren nichts mehr fehlt. Jeder Tag, sogar jede Sekunde ist genau erfasst; es gibt keine Lücken mehr. Aber die 12 Nächte, die das Ende des einen Mondjahres vom Anfang des nächsten trennen, haben in Form der Rauhnächte und ihrem Brauchtum bis heute überlebt.
Dass diese Tage gerade um Weihnachten herum liegen, ist auch keine Überraschung. Ich habe darüber in den Folge 369 und 474 ausführlich gesprochen. Am 21. oder 22. Dezember ist die Wintersonnenwende, also der Tag, an dem die Sonne auf der Nordhalbkugel ihre geringste Höhe über dem Horizont erreicht. Der Tag ist der kürzeste des Jahres und die Nacht die längste. Oder anders gesagt: Ab der Wintersonnenwende werden die Tage wieder länger und das ist etwas, dass man definitiv feiern kann. Das haben die Menschen auch immer schon gefeiert und das Christentum hat den Feiertag zur Geburt von Jesus einfach auf den Tag der Wintersonnenwende gelegt. Wenn die Menschen eh schon gewohnt sind, zu feiern, dann fällt es ihnen einfacher, den neuen Gott zu feiern und ihre alten Religionen abzulegen, hat man sich gedacht. Und damals war der Tag der Wintersonnenwende noch der 25. Dezember. Dass die heute ein paar Tage früher im Kalender stattfindet, liegt an den diversen Kalenderreformen, die in den letzten zweitausend Jahren stattgefunden haben.
Die Wintersonnenwende war auch ein guter Punkt, um ein Jahr enden zu lassen und ein neues zu beginnen - und damit müssen auch die Tage zwischen den Jahren hier zu finden sein. Die Rauhnächte mögen heute mit christlichem Brauchtum umgeben sein; mit der Zeit zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag oder mit der Zeit von der Thomasnacht (zum 21. Dezember, ein Gedenktag des Apostel Thomas) bis zu Silvester - darunter liegen aber die vorchristlichen Feste und die alten Kalender der Menschen, die sich nach dem Mond gerichtet und auf komplexe Schaltregeln verzichtet haben.
Die Rauhnächte sind ein letzter Rest dieser lang verschwundenen Vergangenheit und gleichzeitig eine Verbindung zwischen dem astronomischen Wissen aus früheren Zeiten und der Gegenwart. Damals war es von fundamentaler Bedeutung, über den Lauf der Zeit informiert zu sein, denn nur so hat man einerseits die Landwirtschaft und damit das Überleben gesichert und andererseits die religiöse und gesellschaftliche Verbindung zwischen den Menschen aufrecht erhalten können. Nur mit dem Überblick über die Zeit kann man die Feste zum richtigen Zeitpunkt feiern oder aber eben wissen, wann die omniöse Zeit "zwischen den Jahren" gekommen ist, in der man besonders auf das Walten und den Willen der Götter und Geister achten muss. Und den Überblick über die Zeit konnte man damals nur durch astronomische Beobachtungen bekommen - es war also wichtig, über den Lauf der Himmelskörper informiert zu sein. Heute ist das den meisten Menschen egal; wir ignorieren die astronomischen Verbindungen zwischen den Rauhnächten und dem Leben der Menschen in der Vergangenheit. Und haben die "Zeit zwischen den Jahren" dafür mit esoterischem Quatsch gefüllt.
Es gäbe noch viel mehr zu erzählen über die Astronomie und die Zeit der Rauhnnächte. Über die "Wilde Jagd", die in diesen Nächten ihr Unwesen treibt und Sternbilder wie den Orion; über die Perchten und das Frühlingsäquinoktium und so weiter. Aber das hebe ich mir für eine andere Folge der Sternengeschichten auf. Und bis es so weit ist, könnt ihr ja gerne in den Rauhnächten in den klaren Winterhimmel hinauf blicken und ein wenig an die Zeit denken, als die Nacht für die Menschen nicht einfach nur Dunkelheit war.
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