Sternengeschichten Folge 679: Angeline Stickney und ihr Krater
Shownotes
Sternengeschichten Folge 679: Angeline Stickney und ihr Krater
Der Stickney-Einschlagskrater hat einen Durchmesser von 9 Kilometern. Und man könnte sich jetzt die Frage stellen, ob so ein Krater eine eigene Folge der Sternengeschichten verdient hat. Immerhin kennen wir allein auf der Erde mehr als hundert Krater, die einen Durchmesser von mehr als 5 Kilometer haben. Die größten davon sind sogar mehrere hundert Kilometer groß. Aber Stickney befindet sich eben nicht auf der Erde, sondern auf Phobos, einem der beiden Monde des Mars. Und Phobos selbst ist nur um die 20 Kilometer groß - und verglichen damit ist ein 9 Kilometer großer Krater gewaltig. Man kann Stickney kaum übersehen; quasi eine ganze Hälfte von Phobos ist regelrecht eingedellt.
Eine so beeindruckende Struktur wie Stickney verdient definitiv eine eigene Folge der Sternengeschichten. Außerdem ist Stickney nicht nur als Krater interessant; mindestens ebenso spannend ist die Geschichte der Person, nach der er benannt worden ist. Aber dazu kommen wir später noch; zuerst klären wir die Frage: Wie kommt ein so kleiner Mond wie Phobos zu so einem vergleichsweise gewaltigen Krater?
Von der Existenz des Marsmond Phobos wissen wir seit er am 18. August 1877 vom amerikanischen Astronom Asaph Hall entdeckt wurde. Mit ihm werden wir uns später noch beschäftigen, aber es ist klar, dass man damals noch nichts über die Oberflächenstruktur von Phobos wissen hat können. Bei einem so ein kleiner Mond lässt sich von der Erde aus nichts erkennen. Es hat bis 1972 gedauert und dem Besuch der amerikanischen Raumsonde Mariner 9. Sie hat hochauflösende Bilder von Phobos gemacht und dabei auch den gewaltigen Krater gezeigt.
Das, was da in der Vergangenheit auf Phobos eingeschlagen hat, hat den kleinen Mond fast zerstört. Und es war lange Zeit ein Rätsel, wieso der Mond tatsächlich noch existiert. Denn normalerweise müsste ein Objekt, dass so einen großen Krater verursachen kann, dabei zwangsläufig auch den Mond selbst zerstören. Aber ein etwas genauerer Blick auf die Situation in einer Studie aus dem Jahr 2016 hat die Angelegenheit klarer gemacht. Wir wissen mittlerweile, dass Phobos zwar aussieht, wie ein typischer Felsbrocken im All. Tatsächlich hat er aber eine sehr geringe mittlere Dichte und ist ein ziemlich poröses Objekt. Phobos ist das, was man einen "rubble pile" nennt, also einen Trümmerhaufen. Das ist typisch für viele Asteroiden im Sonnensystem: Sie sind keine großen Brocken, sondern bestehen aus einer Menge lose zusammengeballter kleinerer Felsen, mit jeder Menge Hohlräumen dazwischen und einem Haufen Staub darüber. Solche rubble piles haben ihre Existenz der chaotischen Vergangenheit des Sonnensystems zu verdanken, in der es immer wieder zu jeder Menge großer und kleiner Kollisionen gekommen ist. Die Trümmer solcher Zusammenstöße haben sich dann oft nur locker zusammengeballt und die geringe Gravitation der Asteroiden reicht gerade aus, das alles zusammenzuhalten. Im Fall von Phobos kann es sein, dass irgendwann früher etwas mit dem Mars kollidiert ist und die Trümmer dann den Mond gebildet haben. Oder aber Phobos war früher ein Asteroid, der vom Mars eingefangen wurde.
So oder so ist der kleine Mond kein fester Brocken, sondern hat eine poröse, schwammartige Struktur. Und die kann wie eine Art von "Stoßdämpfer" wirken und verhindern, dass ein großer Einschlag den ganzen Mond zerstört. Berücksichtigt man diese Tatsache, dann reicht auch schon ein ungefähr 200 bis 250 Meter großes Objekt, das mit circa 6 Kilometer pro Sekunde auf Phobos trifft, um einen Krater mit der Größe und Form wie Stickney zu schlagen.
Wann das alles passiert sein muss, ist noch umstritten. Das hängt davon ab, wie genau der Mond entstanden ist. Ist er schon länger in seiner Umlauf um den Mars und aus den Trümmern eines Einschlags auf dem Mars entstanden, dann muss dass vor circa 4,3 Milliarden Jahren passiert sein und Stickney muss sich kurz danach gebildet haben. Wenn er eingefangen wurde, dann ist das vor etwa 3,5 Milliarden Jahren passiert und Stickney hat sich ungefähr eine Milliarde Jahre später gebildet. Aber wieso sind die Zeitangaben hier so extrem unterschiedlich? Das liegt daran, dass wir das Alter von Phobos nicht direkt bestimmen können. Das geht nur indirekt, in dem wir die Krater dort zählen. Vereinfacht gesagt gilt: Je mehr Krater, desto älter ist die Oberfläche und damit Phobos, denn desto mehr Zeit hatte der Mond, um Krater zu sammeln. Das ist aber natürlich keine sonderlich exakte Methode und das Ergebnis hängt unter anderem davon ab, wie lange sich Phobos schon beim Mars befindet. Wir haben - aus diversen anderen Gründen auf die ich jetzt nicht im Detail eingehen möchte - halbwegs brauchbare Vorstellungen darüber, wo und wann im früheren Sonnensystem Asteroiden unterwegs waren und wie viele Kollisionen es gegeben hat. Daraus können wir ableiten, dass Phobos auf jeden Fall schon einige Zeit im Mars-Orbit sein muss. Phobos hat außerdem eine gebundene Rotation, dass heißt, er braucht für eine Runde um den Mars genau so lange wie für eine Drehung um seine eigene Achse. Das ist so wie beim Mond der Erde und so wie bei uns die Gezeitenkraft der Erde auf den Mond dafür verantwortlich ist, ist es bei Phobos die Gezeitenkraft des Mars, die die Rotation des kleinen Mondes im Laufe der Zeit abgebremst hat. Das braucht aber Zeit und auch deswegen wissen wir, dass Phobos schon ein paar Milliarden Jahre beim Mars sein muss. Je nachdem, welches Szenario der Entstehung von Phobos man nun annimmmt, kommt man auf ein Alter, dass irgendwo zwischen 4,3 und grob 3 Milliarden Jahren liegt. Und je nach Alter und Entstehungsort von Phobos - beim Mars oder im Asteroidengürtel - muss man die Verteilung der Krater auf Phobos unterschiedlich interpretieren und kommt auf ein unterschiedliches Alter von Stickney.
So oder so ist Stickney ein beeindruckender Beleg für die dynamischen Vorgänge im Sonnenystem. Und für die Vielfalt an Himmelskörpern, die aus all den Kollisionen der Vergangenheit hervor gegangen ist. Aber warum heißt der Krater "Stickney"?
Dazu müssen wir zurück zu Asaph Hall, über den ich auch schon in Folge 191 ausführlich gesprochen habe. Darin habe ich von der Entdeckung der beiden Marsmonde Phobos und Deimos erzählt und in einem kurzen Satz erwähnt, dass der Krater Stickney nach der Ehefrau von Asaph Hall benannt worden ist. Aber in dieser Folge möchte ich gerne ein wenig genauer von dieser Ehefrau erzählen.
Angeline Stickney wurde am 1. November 1830 geboren. Sie war das sechste Kind ihrer Eltern und kam aus einer einfachen Familie, war aber immer schon sehr wissensdurstig. Vorerst hatte sie sich aber vor allem um die Hausarbeit zu kümmern. 1847 konnte sie dann aber, dank finanzieller Zuwendungen ihrer Cousine, eine Schule in ihrer Heimatstadt besuchen. Nach einem Jahr konnte sich schon ein bisschen eigenes Geld verdienen, in dem sie selbst Unterricht in einer Schule gab. Angeline Stickney wollte aber nicht einfach nur weiter unterrichten, sie wollte vor allem mehr Bildung und selbst eine höhere Schule besuchen. 1852 ging sie an das New York Central College, eine damals sehr progressive Einrichtung. Dort konnte man auch studieren, wenn man wenig Geld hatte, so wie Angeline und vor allem auch, wenn man - wie Angeline - eine Frau war. Sie studierte dort Deutsch, Griechisch, aber auch höhere Mathematik, Astronomie und Vermessungswesen. Und auch hier war sie schnell so weit, dass sie selbst Unterricht geben könnte. Einer ihrer Studenten war ein gewisser Asaph Hall, den sie in Deutsch und und Geometrie unterrichtete. Hall und seine Freunde machten sich damals einen Spaß daraus, sich Fragen auszudenken, von denen sie dachten, Angeline Stickney könne sie nicht beantworten - was aber nie geklappt hat.
Während ihrer Zeit am College hat sich Stickney auch für Frauenrechte engagiert, an diversen Konferenzen teilgenommen, feministische Texte verfasst um Gleichberechtigung der Frauen in und durch Bildung zu fordern und sich für eine grundlegende Reform der amerikanischen Gesellschaft einzusetzen. In ihrem Privatleben hat das aber leider nicht so gut geklappt. Ihr Student, Asaph Hall, wurde 1856 ihr Ehemann. Und, wie es die - noch nicht reformierte Gesellschaft damals gefordert hat - Angeline Stickney musste ihre akademische Karriere beenden und sich mit einem Leben als Ehe- und Hausfrau begnügen. Asaph Hall dagegen bekam eine Stelle an der Harvard College Sternwarte und wurde 1862 Astronom am US Naval Observatory. Mit seiner Karriere ging es dort aber nicht wirklich weiter, so lange jedenfalls, bis Angeline einen Brief an Captain Gillis, den Leiter der Sternwarte schrieb und sich dort für ihren Mann eingesetzt hat. Das Resultat: Asaph Hall wurde Professor. Angeline blieb weiter Hausfrau. Sie kümmerte sich darum, dass das Essen auf dem Tisch stand, sie schickte ihrem Mann Lunchpakete auf die Sternwarte, damit der während der langen Beobachtungsnächte nicht hungrig sein musste und wartete zuhause gespannt auf die wissenschaftliche Ergebnisse, die Asaph Hall mit nach Hause brachte. Sie half ihm außerdem bei den Berechnungen die nötig waren, um die Beobachtungen auszuwerten.
Unter anderem war Hall damit beschäftigt den Mars zu beobachten und nach Monden des Planeten zu suchen. Danach hatte man schon lange gesucht, immer erfolglos und auch Hall war kurz davor den Mut zu verlieren. Er wollte die Suche aufgeben, aber Angeline überredete ihn, weiter zu machen. 1877 war Mars besonders nah an der Erde und wenn man Monde finden könnte, dann jetzt. Von Angeline angespornt, versuchte Hall es nochmal und im August 1877 war er erfolgreich. Zwei Monde des Mars wurden gefunden: Phobos und Deimos. Hall hat später selbst geschrieben, dass er diese Entdeckung nicht gemacht hätte, hätte seine Frau ihn nicht bestärkt, weiterzuschen. Als Angeline aber dann auch mal gefragt hat, ob sie nicht für ihre Arbeit und Berechnungen ein Gehalt bekommen könnte, so wie ein Mann auch, war Asaph nicht so begeistert und hat das abgelehnt - woraufhin Angeline dann auch ihre Mitarbeit eingestellt hat.
Angeline Stickney Hall ist am 3. Juli 1892 gestorben. Wir wissen nicht, welche Entdeckungen sie machen hätte können, wenn sie ihre wissenschaftliche Karriere nicht abbrechen hätte müssen. Das Potential dafür hätte sie auf jeden Fall gehabt. Aber immerhin hat sie es am Ende noch zu Phobos geschafft. Nachdem Mariner 9 die beeindruckenden Bilder von Phobos zur Erde geschickt hat, hat man dort überlegt, wie man all die Strukturen und Krater benennen soll. Und vor allem: Welchen Namen man dem gigantischen Krater geben soll. Ein Komittee, unter dem Vorsitz des bekannten Astronom Carl Sagan, schlug vor, dass er den Namen der Frau bekommen soll, die mit dafür verantwortlich war, dass der Mond überhaupt entdeckt wurde: Stickney.
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