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Sternengeschichten Folge 677: Der Asteroid Massalia und der Ursprung der Meteoriten

Shownotes

Sternengeschichten Folge 677: Der Asteroid Massalia und der Ursprung der Meteoriten

Am 19. September 1852 war der italienische Astronom Annibale de Gasparis bei seiner Arbeit an der Sternwarte Capodimonte in Neapel. De Gasparis war einerseits Experte für die Bewegung der Himmelskörper; er berechnete die Umlaufbahnen von Asteroiden und war der erste, der die Bahn des großen Asteroiden Vesta mathematisch beschreiben konnte. De Gaspari war aber gleichzeitig auch ein Beobachter, der mit dem Teleskop auf die Suche nach neuen Asteroiden gegangen ist. Diese Objekte waren in der Mitte des 19. Jahrhunderts ja noch vergleichsweise neu. Der erste - Ceres - wurde erst 1801 entdeckt und im September 1852 kannte man insgesamt nur 19 von ihnen und 5 von diese 19 hatte Annibale de Gasparis selbst gefunden. Und in der Nacht des 19. September 1852 fand er auch Nummer 20. Er hatte damit also sechs der 20 bekannten Asteroiden entdeckt, also fast ein Drittel. Und in den Jahren danach sollte de Gasparis noch drei weitere Asteroiden finden. In dieser Folge geht es aber um die Nummer 20, um den Asteroid, der den Namen "Massalia" bekommen hat.

Massalia ist der lateinische Name für die französische Stadt Marseille, was ein wenig seltsam erscheint, da der Asteroid ja von einem Italiener in Neapel entdeckt wurde. De Gasparis war aber nicht der einzige, der dieses Objekt im September 1852 beobachtet hat. Nur einen Tag nach ihm hat ihn auch der französische Astronom Jean Chacornac ganz unabhängig entdeckt und er hat es von der Sternwarte in Marseille aus getan. Die Beobachtung von Chacornac wurde von seinem Kollegen Jean Elias Benjamin Valz ein paar Tage später in einer Fachzeitschrift bekannt gegeben und dort schlug er auch gleich vor, den Asteroid "Massalia" zu nennen. Valz schlug außerdem noch ein Symbol für den neuen Himmelskörper vor. Denn damals war das alles noch ein wenig kompliziert mit den Asteroiden. Ich habe das in Folge 342 der Sternengeschichten ausführlich erzählt: Man diese Himmelskörper damals noch für Planeten gehalten und auch die Entdeckungsnotiz von Valz zu Massalia trägt den Titel "Entdeckung eines neuen Planeten". Und die Planeten - also Merkur, Venus, Mars, und so weiter - hatten alle eigene Symbole. Damals und in den Jahrhunderten davor hat man die noch regelmäßig verwendet. Heute tun wir das kaum noch, auch wenn man ab und zu noch zum Beispiel die Symbole für Venus (den Kreis mit dem kleinen Kreuz darunter) oder für Mars (ein Kreis mit einem Pfeil, der schrägt nach oben zeigt) sieht. Aber im 19. Jahrhundert war man noch bemüht, all den neuen "Planeten" auch passende Symbole zu geben, aber je mehr man davon gefunden hat, desto schwieriger war es, da etwas passendes zu finden. Valz hat das auf eine simple Weise gelöst: Massalia war der 20. bekannte Asteroid - also war sein Symbol einfach die Zahl "20", in einem Kreis. Und dabei ist man bis heute geblieben. Alle Asteroiden haben nicht nur einen Namen, sondern auch eine fortlaufende Zahl, je nach Zeitpunkt an dem sie entdeckt worden sind.

Aber lassen wir die Benennung mal beiseite und schauen uns an, was de Gasparis da entdeckt hat. Massalia ist ein typischer Asteroid des Hauptgürtels; befindet sich also zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter. Er ist im Mittel 2,4 mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde, die Form seiner Bahn weicht nicht allzu weit von einer Kreisbahn ab und ist auch kaum gegenüber der Hauptebene des Sonnensystems geneigt. Für eine Runde um die Sonne braucht Massalia 3 Jahre und 8 Monate und er hat einen Durchmesser von 135 Kilometern. Es ist also ein ordentlicher Brocken. Und mit Brocken geht diese Geschichte auch weiter. Massalia ist auf den ersten Blick ein ganz normaler Asteroid, wie es sie im Asteroidengürtel zu hundertausenden gibt. Auf den zweiten Blick ist er aber ein höchst außergewöhnliches Objekt und warum das so ist, können wir uns hier auf der Erde ansehen.

Es ist schwierig, die Asteroiden im Detail zu erforschen. Sie sind so klein, dass unsere Teleskope von der Erde aus so gut wie keine Möglichkeit haben, mehr als nur einen Lichtpunkt zu beobachten. Wenn wir mehr sehen wollen, müssen wir mit Raumsonden hinfliegen und das haben wir auch schon gemacht. Aber auf diesem Weg haben wir bis jetzt nur eine Handvoll der Millionen Asteroiden aus der Nähe gesehen. Wir wissen aber, dass es immer wieder zu Kollisionen zwischen Asteroiden und der Erde kommt. Wenn bei diesen Zusammenstößen etwas vom Einschlagskörper übrig bleibt, können wir diese Steine einsammeln und erforschen. Wir nennen diese Steine "Meteoriten" und wir haben bis heute über 70.000 davon gefunden und ausführlich erforscht.

Was dabei lange Zeit unklar war, war der Ursprung der Meteoriten. Ja, klar - sie stammen von Asteroiden, das habe ich ja gerade selbst erklärt. Die Frage aber war: Von welchen Asteroiden genau? Denn die meisten Meteorite sind Bruchstücke. Es kommt - zum Glück! - eher selten vor, dass ein ganzer großer Asteroid wie zum Beispiel Massalia auf Kollisionskurs mit der Erde gerät und mit uns zusammenstößt. Viel wahrscheinlicher ist es, dass zwei Asteroiden im All kollidieren. Dabei entstehen natürlich jede Menge Trümmer und ein paar davon könnten dann der Erde in die Quere kommen. Ich habe in vergangenen Folgen ja schon von Meteoriten gesprochen, die vom Mars stammen oder vom Mond. Da war es genau so: Ein Asteroid kollidiert mit dem Mars, der Einschlag schleudert Trümmer aus Marsgestein ins All und die landen dann auf der Erde. Wir wissen, wie das Marsgestein zusammengesetzt ist, weil wir mit unseren Raumsonden vor Ort schon Untersuchungen angestellt haben. Beim Mond gilt das auch und deswegen können wir ein paar der zehntausenden bekannten Meteoriten eindeutig diesen Himmelskörpern zuordnen. Ein paar der größten Asteroiden - zum Beispiel Vesta, mit einem Durchmesser von über 500 Kilometern - haben wir mit Teleskopen von der Erde ausreichend gut beobachten können, um ein paar Meteoriten eindeutig als seine Trümmer identifizieren können. Aber diese Objekte, von denen wir wissen, woher sie kommen, machen nur gut 6 Prozent aller Meteoriten aus. Was ist mit den restlichen 94 Prozent.

Das hat ein internationales Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Jahr 2024 herausgefunden. Die Details sind komplex, aber man hat einerseits die Zusammensetzung der Meteoriten in den Labors der Erde untersucht. Andererseits hat man die realen Asteroiden mit Teleskopen so genau wie möglich beobachtet um aus dem Licht auf ihre Zusammensetung schließen zu können. Je nachdem welches Gestein dort existiert, wird das Licht ein wenig anders reflektiert wird, und in Wahrheit ist das natürlich nicht so einfach, wie ich es gerade dargestellt habe, aber man kann zumindest einen halbwegs guten Eindruck davon bekommen, aus was so ein Asteroid besteht.

Mit diesen Daten kann man dann nach passenden Asteroidenfamilien suchen. Darüber habe ich ausführlich in Folge 111 der Sternengeschichten gesprochen. Kurz gesagt: Wenn zwei Asteroiden miteinander kollidieren, dann fliegen die Bruchstücke der Kollision nicht völlig kreuz und quer und beliebig durch die Gegend. Es müssen ja auch nicht beide ursprüngliche Asteroiden komplett zerstört werden. Oft stößt ein kleineres Objekt mit einem größeren zusammen, schlägt dann ein paar Trümmer raus, aber der große Asteroid bleibt halbwegs unversehrt. Und so weiter - die Trümmer jedenfalls bleiben dann für einige Zeit - und das können durchaus ein paar hundert Millionen Jahre oder mehr sein - auf annähernd ähnlichen Umlaufbahnen wie die Ursprungskörper. Sie bilden "Familien", die man mit den richtigen mathematischen Methoden deutlich voneinander unterscheiden kann.

Und diese Familien sind wichtig, wenn es um den Ursprung der Meteoriten geht. Ich habe vorhin ja erklärt, dass ein Asteroid nicht einfach so auf die Idee kommt, plötzlich mit der Erde zu kollidieren. Seine Umlaufbahn muss irgendwie gestört werden, damit sie sich so ändert, dass sie die Erdbahn kreuzen kann. Dazu muss irgendetwas passieren und eine Kollision mit einem anderen Asteroid ist genau so ein etwas. Der Asteroid oder die Bruchstücke können nach dem Zusammenstoß entweder direkt in Richtung Erde gelenkt werden. Oder aber, und das ist der wahrscheinlichere Prozess, sie gelangen in eine Region des Sonnensystems, in denen sie besonders leicht durch die Gravitationskraft anderer Planeten gestört werden können. Über diese "Resonanzen" habe ich ja auch früher schon gesprochen - und wenn die Bruchstücke einer Asteroidenkollision durch solche Resonanzen gestört werden, können sie im Laufe der Zeit ebenfalls Umlaufbahnen erreichen, die sie in die Nähe der Erde bringen.

Man hat also nach Asteroidenfamilien gesucht, die einerseits Asteroiden enthalten, deren Zusammensetzung zu den Meteoriten auf der Erde passen. Und die sich andererseits aber auch dort bewegen, wo es die passenden Resonanzen gibt, die sie in Richtung Erde bringen können. Und bei der Familie des Asteroiden Massalia passt alles perfekt.

Wir wissen, dass es circa 6000 kleinere Objekte gibt, die alle aus einer Kollision stammen, die vor ein paar hundert Millionen Jahren stattgefunden hat. Massalia ist das größte Überbleibsel von damals und die Zusammensetzung von Massalia & Co passt super zu der, der sogenannten L-Chondrite. So nennt man die größte Gruppe der Meteoriten. Chondrite sind die typischen Steinmeteoriten, mit kleinen Silikateinschlüssen. Das "L" bedeutet, dass es sich um Chondrite handelt, deren Eisengehalt gering ist - also auf englisch "low". Die L-Chondrite bilden eine der größten Gruppen bei den Meteoriten und wir können durch verschiedene chemische und geologische Analysen auch ungefähr abschätzen, wann sie auf die Erde gefallen sind. Jetzt kann man ausführliche Computersimulationen durchführen und berechnen, wie lange es dauert, bis nach der Kollision bei der die Massalia-Familie entstanden ist, die Bruchstücke durch die diversen Störungen in Richtung Erde gelangen. Und diese Simulationen zeigen: Es passt wunderbar zusammen! Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich ziemlich sicher, dass die Massalia-Familie für 37 Prozent der bekannten Meteoriten auf der Erde verantwortlich ist. In der selben Arbeit haben sie übrigens auch noch die Karin-Familie und die Koronis-Familie als Ursprung zweier anderer wichtiger Meteoriten-Gruppen identifiziert und so insgesamt 90 Prozent aller Meteoriten abgedeckt. Es bleiben also nur noch 10 Prozent, bei denen wir nicht wissen, woher sie kommen.

Die Massalia-Familie ist also nicht der Ursprung aller Meteorite, aber der Ort, von dem die größte Gruppe der derzeit bekannten Meteoriten stammt. Das heißt natürlich nicht, dass es keine anderen Quellen gibt. Aber Asteroiden-Familien lösen sich im Laufe der Jahrmillionen auf und auch auf der Erde verschwinden viele Meteorite, die vor langer Zeit gefallen sind, irgendwann, wenn wir sie nicht zufällig und rechtzeitig finden. Geologie, Verwitterung, Vulkanismus, Plattentektonik und so weiter lassen jede Menge Meteoriten verschwinden, die vor Jahrmillionen auf die Erde gefallen sind. Wir können nur die vergleichsweise jungen Asteroiden-Familien erforschen - aber was das angeht, spielt die Massalia-Familie eine enorm wichtige Rolle.

Meteoriten kannte man natürlich auch schon damals, als Annibale de Gasparis im September 1852 den Asteroid Massalia entdeckt hat. Aber man hat damals gerade erst begonnen zu verstehen, dass es sich dabei um Objekte handelt, die aus dem All auf die Erde fallen. Und de Gasparis wäre vermutlich sehr überrascht gewesen, wenn man ihm gesagt hätte, dass er da nicht einfach nur einen neuen Himmelskörper gefunden hat. Sondern auch das Objekt, dass dafür verantwortlich ist, dass ein Großteil dieser Steine aus dem All am Ende auf der Erde gelandet ist.

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