Sternengeschichten Folge 676: Kollisionen zwischen Sternen
Shownotes
Sternengeschichten Folge 676: Kollisionen zwischen Sternen
Im Universum kracht es ständig irgendwo. Asteroiden kollidieren mit Planeten; Asteroiden kollidieren miteinander und Planeten stoßen mit Planeten zusammen. Ganze Galaxien treffen aufeinander, durchdringen sich und verschmelzen und selbst Galaxienhaufen können kollidieren. Aber was ist mit den Sternen? Davon gibt es ja bekanntlich sehr, sehr viele im Universum und man sollte meinen, dass auch die andauernd ineinander krachen. Dabei vergisst man allerdings, dass es im Universum zwar tatsächlich viele Sterne gibt, aber was noch häufiger ist als die Sterne, ist Nichts. Das Universum ist einfach verdammt leer und die Sterne, verglichen mit dieser Leere, verdammt weit voneinander entfernt. Bei Galaxien ist das zum Beispiel anders; bezogen auf ihre Größe ist die Distanz zwischen ihnen deutlich kleiner. Und Asteroiden und Planeten sind zwar auch durch jede Menge leeren Raum getrennt. Aber sie befinden sich auch alle in den vergleichsweise kleinen Räumen der Planetensysteme und da kommt es früher oder später zu Kollisionen. Sterne verteilen sich dagegen über den ganzen großen gigantischen Raum einer Galaxie und die Distanzen zwischen ihnen sind groß.
Man kann den durchschnittlichen Abstand zwischen Sternen abschätzen und ihre typische Bewegung und dann kommt man zu dem Ergebnis, dass man im Durchschnitt ungefähr 10.000 Milliarden Jahre warten muss, bis zwei Sterne miteinander zusammenstoßen. Das ist ein Zeitraum, der mehr als 700 Mal länger ist als das Universum bis jetzt existiert. Das bedeutet erstens, dass es absurd unwahrscheinlich ist, dass Sterne tatsächlich kollidieren. Bedeutet das zweitens aber auch, dass es keinen Grund gibt, eine eigene Folge zu diesem Thema zu machen? Natürlich nicht, denn sonst hätte ich das ja nicht getan. Es gibt Kollisionen zwischen Sternen, aber nur unter sehr speziellen Umständen.
Die meiste Zeit über hat sich die Astronomie nicht sonderlich intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Früher wusste man ja auch gar nicht, was Sterne eigentlich sind. Man kannte die Sonne, man kannte die Lichtpunkte am Nachthimmel, aber dass es da irgendwelche Verbindungen gibt, war unklar. Und der Himmel war die Welt der Götter beziehungsweise das Werk des einen christlichen Gottes und dort muss alles seine Ordnung haben - mit Sicherheit gibt es da keinen Kollisionen. Später hat man erkannt, dass Sterne im Prinzip die gleichen Objekte wie unsere Sonne sind, nur sehr viel weiter weg. Man hat im 19. Jahrhundert herausgefunden, dass diese Distanzen wirklich groß sind und im frühen 20. Jahrhundert die gewaltigen Ausmaße der Milchstraße und des Universums erkannt. Kurz gesagt: Man war sich darüber im Klaren, dass Sternkollisionen extrem unwahrscheinlich sind und es sich deswegen nicht lohnt, sich mit diesem Phänomen zu beschäftigen.
Geändert hat sich das, als man in den 1950er Jahren Kugelsternhaufen untersucht hat. Ich habe die Geschichte schon in Folge 432 ausführlich erzählt und erwähne sie jetzt nur kurz. Damals hat der amerikanische Astronom Allan Sandage probiert, das Alter des Kugelsternhaufens M3 zu bestimmen. Und ein Kugelsternhaufen ist - wenig überraschend - eine circa kugelförmige Ansammlung von ein paar hunderttausend bis Millionen Sterne. Man geht davon aus, dass die Sterne eines solchen Haufens alle mehr oder weniger zum selben Zeitpunkt entstanden sind. Und man hat auch damals schon gewusst, dass ein Stern um so kürzer lebt, je mehr Masse er hat. Massereiche Sterne sind größer, haben höhere Temperaturen und die Kernfusion in ihrem Inneren läuft schneller. Das heißt, sie haben den Wasserstoff für ihre Fusion schnell verbraucht und hören auf, als normale Sterne zu existieren. Schaut man sich die Sterne eines Sternhaufens an, muss man - sehr vereinfacht gesagt - nur schauen, welche die aktuell massenreichste Sterne sind, die dort noch existieren. Da man weiß, wie lange Sterne mit bestimmter Masse leben, kann man daraus schließen, wie alt so ein Haufen sein muss. Allan Sandage hatte allerdings ein Problem: Er konnte zwar ziemlich gut sehen, dass fast alle Sterne deren Masse über einer gewissen Grenze liegt, aus M3 verschwunden sind. Aber eben nicht alle Sterne. Ein paar massereiche Sterne waren übrig; Sterne, die eigentlich ihr Leben schon beendet haben sollten. Die Erklärung dafür: Diese speziellen Sterne sind gar nicht gemeinsam mit den anderen Sternen des Haufens entstanden. Sie sind entstanden, als zwei kleinere Sterne miteinander kollidiert und verschmolzen sind und eine neuen, großen und hell und blau leuchtenden Stern gebildet haben. Man hat diese Sterne "blaue Nachzügler" genannt und sie waren ein deutlicher Beleg dafür, dass Sterne sehr wohl kollidieren können, wenn sie nicht durch Lichtjahre voneinander getrennt, sondern als Teil eines Kugelsternhaufens vergleichsweise eng gedrängt im Weltall existieren.
Sterne sind einander aber unter Umständen auch sehr nahe, wenn sie Teil eines Doppel- oder Mehrfachsternsystems sind. Das trifft insbesondere auf die Gruppe zu, die man "contact binary" nennt beziehungsweise "Kontaktdoppelstern". Und das "Kontakt" im Namen deutet an, was dort passiert: Zwei Sterne sind einander so nahe, dass sie sich quasi berühren. Ein Beispiel dafür ist die Gruppe der W-Ursae-Majoris-Sterne, benannt nach W Ursae Majoris, dem ersten bekannten Stern dieser Art. Es handelt sich dabei um ein Paar von Sternen, die einander vergleichsweise nahe sind. Was dann passiert, ist ein wenig komplex, aber kann etwas vereinfacht so erklärt werden: Die Sterne umkreisen einander, aber weil sie sich so nahe sind, nehmen sie auch Einfluss auf ihre eigene Rotation. Es ist ein bisschen so wie bei Erde und Mond: Die Gezeitenkraft zwischen den beiden Himmelskörpern hat dazu geführt, dass der Mond für eine Runde um die Erde genau so lange braucht wie für eine Drehung um seine eigene Achse. Auch die beiden nahen Sterne synchronisieren sich; ihre Rotationsperiode nähert sich der Umlaufperiode umeinander an. Beide Sterne haben natürlich auch ihre Magnetfelder und beide Sterne schleudern Materie aus ihren äußeren Schichten hinaus ins All. Das ist eigentlich ganz normaler Sternwind, wie ihn alle Sterne haben, in dem Fall trifft das Zeug aber auf den jeweils anderen Stern. Die Materie des Sternwinds ist elektrisch geladen und wird deswegen durch die Magnetfelder beeinflusst. Sie wird also quasi vom Magnetfeld mitgeschleppt, das selbst der Rotation des Sterns folgt. Weil jetzt aber die Rotationsperioden der beiden Sterne synchronisiert sind, kommen sich die Schleppen aus Sternwind in die Quere und am Ende führt dass dazu, dass sie einander bremsen. Wenn sie bei ihrer Bewegung abgebremst werden, führt das dazu, dass sei einander immer näher kommen und irgendwann berühren sie sich und verschmelzen miteinander.
Das was dann passiert, ist eine "Leuchtkräftige rote Nova". Nach der Verschmelzung gibt es einen Lichtblitz oder besser gesagt: Einen vergleichsweise schnellen und starken Anstieg der Helligkeit über ein paar Tage hinweg. Das Ereignis ist nicht so extrem hell wie bei einer Supernova, also dem explosiven Tod eines Sterns. Aber die Helligkeit kann ein paar hundert Mal heller werden und, das ist das besondere, die Nova leuchtet vor allem im roten Bereich des Lichts. Das liegt daran, dass vor und bei der Verschmelzung jede Menge Material von beiden Sternen hinaus ins All geschleudert wird. Dabei kühlt es sich stark ab und diese kühle Hülle leuchtet im roten Licht. Das erste Mal, dass man zweifelsfrei beobachten konnte, wie so ein contact binary bei einer leuchtkräftigen rote Nova verschmilzt, war im September 2008, als das Objekt mit der Bezeichnung V1309 Scorpii plötzlich aufleuchtete. Oder besser gesagt: Man hat plötzlich etwas aufleuchten sehen, was vorher nicht zu sehen war. Zuerst dachte man, es wäre eine normale Nova, also ein Helligkeitsausbruch eines Sterns, der zum Beispiel entstehen kann, wenn Material von einem Stern in einem Doppelsternsystem zum anderen gelangt und dort kurzfristig die Temperatur und damit die Helligkeit erhöht. So etwas kann auch vorkommen, wenn die Sterne noch vergleichsweise weit voneinander entfernt sind und es passiert recht häufig. In diesem Fall hat sich die Nova aber nicht so verhalten, wie man es erwartet hätte. Man hat in den astronomischen Archiven nach alten Aufnahmen der fraglichen Himmelsregion gesucht und tatsächlich an passender Stelle einen W-Ursae-Majoris-Stern gefunden. Ein großer Stern mit circa der 1,5fachen Sonnenmasse und ein kleiner mit nur einem Sechstel der Sonnenmasse haben einander alle 1,4 Tage umkreist; müssen einander also schon wirklich nahe gewesen sein, um das so schnell zu schaffen. Und 2008 war es dann offensichtlich so weit: Die beiden Sterne sind kollidiert.
Sternkollisionen kann es also durchaus geben. Und natürlich können auch die Überreste von Sternen kollidieren. Wir wissen, das schwarze Löcher miteinander verschmelzen oder Neutronensterne. Aber es kann auch ganz normalen Sternen passieren. Unsere Sonnen muss dieses Schicksal aber nicht fürchten. Sie ist nicht Teil eines Kugelsternhaufens oder Doppelsternsystems. Sie befindet sich in den dünn besiedelten Außenbezirken der Milchstraße. Rein statistisch gesehen müsste man ein paar Dutzend Quadrillionen Jahre warten, bis es da zu einem Zusammenstoß kommt. Das wird also eher nicht passieren. Aber so schlimm sind die Kollisionen ja auch gar nicht, wie wir gesehen haben. Wenn zwei Sterne verschmelzen, ist das nur der Anfang eines neuen, jungen und heißen Sterns.
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