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Sternengeschichten Folge 674: Weltraumspiegel

Shownotes

Sternengeschichten Folge 674: Weltraumspiegel

In dieser Folge der Sternengeschichten geht es um Weltraumspiegel. Das sind, wenig überraschend, Spiegel im Weltraum. Und die Frage um die es geht lautet: Wozu braucht man so etwas? Klar, die Astronautinnen und Astronauten auf einer Raumstation werden Spiegel aus den selben Gründen verwenden, aus denen wir sie auch hier auf der Erde benutzen. Aber darum geht es nicht, sondern um riesige Spiegel, die durchs All fliegen. Der erste, der sich darüber Gedanken gemacht hat, war Hermann Oberth. Je nachdem, wie man möchte, kann man Oberth als Österreicher, Ungar, Deutschen oder Rumänen bezeichnen. Geboren wurde er auf jeden Fall im Jahr 1894 in Sibiu, einer Stadt die heute in Rumänien liegt und auch Hermannstadt genannt wird, weil dort auch immer viele deutschsprachige Menschen gelebt haben. Sibiu war damals Teil des Königreichs Ungarn, Teil der Österreich-Ungarischen Monarchie und nach dem zweiten Weltkrieg wurde Oberth Deutscher und starb 1989 in Feucht in der Nähe von Nürnberg. Es soll in dieser Folge aber nicht um das Leben von Hermann Oberth gehen, obwohl das durchaus äußerst interessant war. Er war einer der Pioniere der Raumfahrt; hat die Raketentechnik mitbegründet und 1923 sein berühmtes Buch "Die Rakete zu den Planetenräumen" geschrieben. Darin erklärt er, wie eine Rakete mit Rückstoßantrieb über die Atmosphäre hinaus fliegen kann, wie man sowas bauen könnte und wie man so etwas vor allem so bauen könnte, dass Menschen damit ins Weltall fliegen können. Und Oberth hat sich auch jede Menge Gedanken darüber gemacht, was man denn dann so alles im All anstellen kann. Raumstationen, Landungen auf anderen Planeten, wissenschaftliche Forschung - all das hat er schon beschrieben. Und er hat beschrieben, wie man einen großen Spiegel im All platzieren könnte.

Wozu? Um Licht und Energie der Sonne auf die Erde zu lenken und dort in bestimmten Bereichen zu konzentrieren. Oberth schreibt: "Es könnte z.B. der Weg nach Spitzbergen oder nach den nordsibirischen Häfen durch solche konzentrierte Sonnenstrahlen eisfrei gehalten werden. Hätte z.B. der Spiegel auch nur 100 km Durchmesser, so könnte er weiter durch zerstreutes Licht weite Länderstrecken im Norden bewohnbar machen, in unseren Breiten könnte er im Frühjahr die gefürchteten Wetterstürze (Eismänner) und im Herbst und im Frühjahr die Nachtfröste verhindern und damit die Obst- und Gemüseernten ganzer Länder retten. Besonders bedeutungsvoll ist, daß der Spiegel nicht über einem Punkte der Erde feststeht, und daher alle diese Aufgaben gleichzeitig leisten kann."

Oberth stellt sich also quasi eine kleine, zusätzliche Sonne vor, die man nach Bedarf aktiviert und dorthin leuchten lässt, wo es kalt und/oder dunkel ist und man kurzfristig mehr Licht und Wärme braucht. Klingt ja erstmal ganz gut, aber wie kriegt man so einen Spiegel gebaut? Oberth stellt sich ein dünnes Blech vor, aus Natrium, das ja ein sehr leichtes Metall ist. Daraus kann man Stück für Stück einen riesigen Spiegel zusammenbauen. Er rechnet aus, dass ein Spiegel mit 100 Kilometer Durchmesser für circa 3 Milliarde Mark gebaut werden kann und dass das ungefähr 15 Jahre dauern wird. Das ist viel Geld und war damals noch viel mehr Geld, aber das wird schon irgendwie aufgetrieben werden, wie Oberth ausführt: "Da nun ein solcher Spiegel leider auch hohen strategischen Wert haben könnte (man kann damit Munitionsfabriken sprengen, Wirbelstürme und Gewitter erzeugen, marschierende Truppen und ihre Nachschübe vernichten, ganze Städte verbrennen und überhaupt den größten Schaden anrichten), wäre es sogar nicht einmal ausgeschlossen, daß einer der Kulturstaaten bereits in absehbarer Zeit an die Ausführung dieser Erfindung geht, zumal sich auch im Frieden ein großer Teil des angelegten Kapitals verzinsen dürfte."

Gut, aus Sicht der 1920er Jahren haben die "Kulturstaaten" sich durchaus und leider an die militärische Aufrüstung gemacht, aber Weltraumtechnik hat da eher keine Rolle gespielt und mit Raketen ist man erst nach dem zweiten Weltkrieg ins All geflogen. Oberth jedenfalls führt in seinem Buch weiter im Detail aus, wie man so einen Spiegel konstruiert, dass er rotieren sollte, damit die Fliehkräfte ihn stabil halten, wie man seine Umlaufbahn ausrichten muss und den Spiegel selbst in Bezug auf die Erde. Und so weiter: Seine Erklärungen sind allesamt durchaus wissenschaftlich seriös, nur war er vielleicht ein wenig zu optimistisch, was die Umsetzung angeht. Ihm war klar, dass so ein Projekt enorm viel Geld kostet und was man nicht vergessen darf: Als Oberth das alles geschrieben hat, ist noch keine einzige Rakete ins All geflogen; kein Mensch war dort und die Raumfahrt an sich mehr Utopie als Realität. Aber Oberth findet trotzdem, dass sich der ganze Aufwand lohnen würde und beendet das entsprechende Kapitel in seinem Buch mit den Worten: "Die Völker Europas verrauchen und vertrinken in einem Jahre mehr, als der ganze Natriumspiegel kosten würde. Krieg und Rauschgifte sind nun freilich ziemlich unnötige Dinge und für solche hat man bekanntlich mehr Geld übrig, als für etwas Nützliches. Aber sollte die Menschheit nicht ausnahmsweise einmal auch für aufbauende Arbeit etwas erübrigen können?"

Schön wäre es, aber wie wir alle wissen, ist es anders gekommen. Es gibt immer noch keinen Weltraumspiegel und wir geben immer noch enorm viel Geld für unnötige Dinge aus. Die Idee des Spiegels im All ist aber nicht verschwunden. Oberth selbst hat in seinen weiteren Büchern immer weiter am Konzept gearbeitet und 1978 sogar ein komplettes Buch mit dem Titel "Der Weltraumspiegel" veröffentlicht. Und auch heute denken Forscherinnen und Forscher darüber nach. Allerdings nicht, um Häfen in der Arktis eisfrei zu halten oder Nachtfrost im Frühjahr zu verhindern. Das erledigt die Klimakrise mittlerweile für uns, die die Erde immer wärmer macht. Der Weltraumspiegel wird heute als Instrument vorgeschlagen, um genau dem entgegen zu wirken. Es geht nicht mehr, wie bei Oberth, darum, zusätzliches Sonnenlicht auf die Erde zu lenken. Sondern darum, die Menge an Licht abzuschwächen, die uns von der Sonne erreicht.

Dazu könnte man einen Spiegel an einem Punkt platzieren, der sich immer zwischen Sonne und Erde befindet (und wer sich an Folge 476 über die Parkplätze im All erinnert, wird wissen, dass der sogenannte Lagrangepunkt L1 dafür gut geeignet ist). Dort kann ein kleiner Teil der Sonnenstrahlung quasi blockiert werden und auf der Erde wird es kühler. Man würde das allerdings heute etwas anders umsetzen, als Oberth sich das damals gedacht hat. Wir haben gelernt, dass gigantische Strukturen im All eher unpraktisch sind, vor allem, wenn man sie bauen muss. Besser ist es, wenn man jede Menge kleine Objekte zu großen kombiniert. Statt eines einzigen riesigen Spiegels könnte man also eine "Wolke" aus Milliarden kleiner Raumsonden zwischen Sonne und Erde platzieren. Sie alle sind mit dünnen Folien ausgestattet, die das Sonnenlicht leicht ablenken. Ein konkretes Konzept hat durchgerechnet, dass man um die 100 Billionen dieser Mini-Satelliten benötigt, die zusammen 20 Millionen Tonnen wiegen. Die muss man natürlich alle auch ins All bringen und mit Raketen ist das eher unpraktisch. Man könnte sie stattdessen mit einer Art von elektrischen Kanonen ins Weltall schießen, das geht auch viel schneller, als jedes Mal eine neue Rakete zu bauen, zu betanken, und so weiter. Diese Elektrokanonen könnten quasi rund um die Uhr feuern und die 100 Billionen Satelliten in einen knappen Jahrzehnt ins All schicken. Aber natürlich kostet das was. Wir haben weder diese Kanonen, noch die Billionen Satelliten. Und wenn wir sie hätten, bräuchten wir jede Menge Energie, um die Kanonen zu betreiben - was im schlimmsten Fall neue Treibhausgasemissionen erzeugt. Und dann gehen die Satelliten im Laufe der Zeit auch kaputt und müssen ersetzt werden.

Aber stellen wir uns mal vor, wir würden das machen wollen (und keine Sorge, ich erkläre dann später noch, warum wir das nicht wollen sollten): Wie lange würde es wirklich dauern, bis wir so einen Sonnenschirm für die Erde gebaut hätte. Auch das haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angesehen. Würden wir jetzt anfangen, intensiv dazu zu forschen, könnten wir die nötigen Technologien bis zum Jahr 2035 fertig haben. Bis 2040 müsste wir dann Produktionsanlagen auf dem Mond aufgebaut haben. Denn dort gibt es einerseits genug Material und andererseits ist die Schwerkraft dort schwächer und man kann Zeug leichter ins All schießen. Zu diesem Zeitpunkt müssten wir auch die ersten Test-Sonnenschirme bauen und an ihren Einsatzort bringen. Ab 2050 wird dass dann alles hochskaliert, wir bauen die elektromagnetischen Kanonen auf dem Mond auf und ab 2060 steht unser Sonnenschirm. Kosten wird das alles ein paar Billionen Euro und es wäre zumindest theoretisch machbar. Wir müssen dafür keine Technologie erfinden, die völlig absurd ist; alles was wir brauchen, beherrschen wir mehr oder weniger schon. Wir müssen das alles nur in einem enorm komplexen Großprojekt zusammenführen.

Dass man mit Spiegeln Sonnenlicht zur Erde lenken kann wissen wir übrigens, weil die russische Raumfahrtagentur das im Jahr 1993 ausprobiert hat. Damals hat man Znamya 2 ins All gebracht, einen circa 20 Meter großen Spiegel. Nachdem er entfaltet wurde, hat er einen circa 5 Kilometer durchmessenden Bereich auf der Erde beleuchtet. Dieser künstliche helle Punkt auf der Erdoberfläche ist von Südfrankreich bis ins westliche Russland gewandert, mit einer Geschwindigkeit von circa 8 Kilometer pro Sekunde. Damals, am 4. Februar 1993, war es zwar größtenteils bewölkt, aber ein paar Menschen haben einen hellen Lichtblitz beobachtet, ungefähr so hell wie der Vollmond.

Also: Theoretisch wären wir in der Lage, Sonnenlicht gezielt auf bestimmte Punkte der Erde zu lenken, oder aber auch Sonnenlicht von der Erde abzuhalten um die Auswirkungen der Klimakrise abzuschwächen. Die Frage ist: Sollten wir das auch tun? Die Antwort darauf ist ein klares "Nein!". Schon Hermann Oberth hat Anfang des letzten Jahrhunderts zu Recht festgestellt, dass sich so ein Weltraumspiegel auch als Waffe einsetzen lässt und das letzte was wir brauchen, sind gewaltige Weltraumwaffen. Aber auch gegen die Klimakrise ist der Einsatz von Weltraumspiegeln eher kontraproduktiv. Sieht man mal von dem absurden Aufwand ab, der nötig wäre, um so ein System zu installieren, würde es ja auch nichts an den Ursachen ändern. Die Ursache der Klimakrise sind die Treibhausgase, die wir freisetzen. Daran ändert ein Weltraumspiegel nichts; er würde nur die Symptome abschwächen. Und was, wenn das System irgendwann mal ausfällt, kaputt geht oder wir feststellen, dass wir jetzt doch kein Geld mehr dafür ausgegen wollen, den globalen Sonnenschirm zu betreiben? Dann fällt die Kühlwirkung auf einmal weg und es passiert das, was man "Termination Shock" nennt: Die Temperatur erhöht sich und schneller als zuvor, weil wir ja in der Zwischenzeit nicht aufgehört haben werden, die Atmosphäre mit CO2 anzureichern. Und dazu kommt: Wir wissen nicht im Detail, was auf der Erde passiert, wenn wir auf einmal einen Teil des Sonnenlichts blockieren. Mit Sicherheit wird das Auswirkungen haben auf die Wettermuster, die Luft- und Meeresströmungen, und so weiter. Es könnte dort regnen, wo es sonst nicht regnet und umgekehrt. Pflanzen könnten nicht mehr wachsen; Dürren, Überschwemmungen, Hungersnöte, und so weiter könnten passieren. Wir können das nicht im Detail vorhersagen und so etwas ist auch nichts, was man einfach so mal ausprobieren möchte. Deswegen und aus jeder Menge weiteren Gründe sprechen sich so gut wie alle Klimaexpertinnen und -experten gegen den Einsatz solcher Geoengineering-Methoden aus. Vor allem, weil wir ja auch eigentlich gar keine gigantischen Weltraumspiegel bräuchten, um der Klimakrise zu begegnen. Wir wissen schon lange, was zu tun ist und wir haben auch schon lange die dafür nötige Technik. Wir müssen nicht auf irgendwelche Science-Fiction-Technologien warten, die uns retten. Vor allem wenn es Technologien sind wie der Weltraumspiegel, die zwar aus vielen anderen Gründen interessant und spannend sind - uns aber mit Sicherheit nicht retten werden.

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