Sternengeschichten Folge 667: Die Hyaden
Shownotes
Sternengeschichten Folge 667: Die Hyaden
Das Sternbild des Stiers kann man in Mitteleuropa von September an den ganzen Winter bis weit in den Frühling hinein am Himmel stehen sehen. Besonders markant ist dort nicht nur der sehr helle Stern Aldebaran, von dem ich schon in Folge 475 ausführlich erzählt habe, sondern die ganze Region, die wir als Kopf des Stiers interpretieren. Direkt neben Aldebaran erkennen wir eine V-förmige Struktur aus Sternen, die alle zu den Hyaden gehören. So nennt man einen Sternhaufen, der schon seit der Antike bekannt ist und bis heute neue wissenschaftliche Informationen liefert.
Der Name leitet sich vom griechischen Wort "hyein" ab, was so viel bedeudet wie "es regnen lassen" und früher hat man die Hyaden auch als das "Regengestirn" bezeichnet. Tatsächlich hat man die Hyaden im antiken Griechenland mit Regen verknüpft: Wenn die Sterne der Hyaden direkt bei Sonnenaufgang über dem Horizont erscheinen (oder direkt bei Sonnenuntergang wieder hinter dem Horizont verschwinden), dann sollte das Zeiten im Jahr ankündigen, in denen es besonders oft regnet. Passend zu dieser Beobachtung hat man auch den Namen und den zugehörigen Mythos entwickelt. Die Hyaden waren die Töchter des Titanen Atlas und Schwestern von dessen Sohn Hyas. Als dieser Hyas einmal in Lybien unterwegs auf der Jagd war, ist er von einem Löwen getötet worden. Oder einer Schlange. Oder einem Wildschwein. Da ist sich die Mythologie nicht ganz einig. Auf jeden Fall war Hyas tot und seine Schwestern extrem traurig. Sie weinten und weinten und konnten gar nicht mehr aufhören zu weinen. Die Götter hatten Mitleid mit ihnen und versetzen sie als Sterne an den Himmel. Wieso das bei der Trauer helfen soll, bleibt zwar unklar, aber auf jeden Fall haben wir seitdem den Sternhaufen der Hyaden und dass die Schwestern des Hyas als Sterne nicht wirklich glücklicher geworden sind, merkt man auch daran, dass ihre Tränen immer noch zur Erde fallen, jedesmal wenn es regnet. Das sagt zumindest der Mythos und was er uns nicht sagt, ist übrigens die Anzahl der Hyaden. Mal sind es fünf Schwestern, mal sieben, mal drei und mal fünfzehn. Also lassen wir die Mythologie sein und widmen uns der Wissenschaft.
Die sagt uns, dass der Sternhaufen der Hyaden aus circa 350 Sternen besteht. Alle befinden sich circa 150 Lichtjahre von der Erde entfernt und der ganze Haufen hat einen Durchmesser von 9 bis 10 Lichtjahren. Oder genauer gesagt: Der innerste, dichte Teil des Haufens hat diesen Durchmesser. Es gibt auch noch einen Haufen Sterne, die weiter entfernt sind, bis zu einer Entfernung von ungefähr 33 Lichtjahren. Da fängt dann die Gravitationskraft der restlichen Sterne in der Milchstraße an, stärker zu werden als die Gravitationskraft der Sterne im Hyaden-Haufen oder anders gesagt: Ab dieser Distanz kann der Haufen nicht mehr durch seine eigene Gravitationskraft zusammenhalten. Wir kennen aber auch eine Menge Sterne der Hyaden, die sich außerhalb dieser Grenze von 33 Lichtjahren befinden - das sind Sterne, die gerade dabei sind, sich vom Haufen zu lösen.
Was mit den Hyaden in Zukunft passieren wird, schauen wir uns dann später noch an, zuerst geht es aber in die Vergangenheit. Das Alter der Hyaden liegt bei ungefähr 600 Millionen Jahren. Damit sind sie ein bisschen älter als der Sternhaufen der Plejaden, der ja quasi gleich nebenan im Sternbild Stier liegt. Und jetzt fragt sich vielleicht der eine oder die andere: Wie bestimmt man eigentlich das Alter von so einem Sternhaufen?
Dazu muss man sich zuerst einmal darüber im Klaren sein, dass Sterne nie allein entstehen, sondern immer in Sternhaufen. Die meisten dieser Haufen lösen sich aus unterschiedlichsten Gründen schnell auf, meistens in weniger als 50 Millionen Jahren. So war es auch bei unserer Sonne: Auch sie ist vor 4,5 Milliarden Jahren gemeinsam mit ein paar hundert bis 1000 anderen Sternen entstanden, aber die sind im Laufe der Zeit alle ihrer eigenen Wege gegangen. Wie schnell sich so ein Haufen auflöst, hängt zum Beispiel davon ab, wie nahe die Sterne nach der Geburt beieinander sind und wie stark deswegen die Gravitationskraft ist, die sie zusammenhält. Oder davon, wie weit der Haufen vom galaktischen Zentrum entfernt ist. Die dichte Zentralregion der Milchstraße übt ja eine besonders starke Gravitationskraft aus, die so einen Haufen auch besonders gut zerreißen kann.
Die Hyaden sind offensichtlich als ein Haufen entstanden, der dicht genug und weit genug vom galaktischen Zentrum entfernt war, so dass er bis heute als Haufen überleben hat können. Aber auch er wird sich irgendwann auflösen. Einerseits, weil sich viele Sterne früher oder später doch vom Haufen lösen. Diesen Prozess nennt man "Evaporation" und es läuft circa so: In so einem Haufen sind die Sterne einander viel näher als es Sterne normalerweise sind. Es kommt daher auch immer wieder mal zu nahen Begegnungen zwischen zwei Sternen. Dabei kann Bewegungsenergie von einem Stern auf den anderen übertragen werden. Der ganze Vorgang ist naturgemäß komplex, aber es läuft darauf hinaus, dass Sterne mit mehr Masse immer näher an das Zentrum des Haufens rücken und leichtere Sterne weiter nach außen, wo sie sich dann irgendwann komplett vom Haufen lösen. Andererseits leben Sterne ja auch nicht ewig, und diese Information ist relevant, wenn wir das Alter eines Sternhaufens bestimmen wollen.
Wir gehen dazu zuerst einmal davon aus, dass alle Sterne der Hyaden mehr oder weniger zur selben Zeit entstanden sind. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass die Sterne nach ihrer Geburt alle einander ähnlich waren. Ganz im Gegenteil: Es ist zu erwarten, dass alle Variationen von Sternen entstanden sind. Massereiche Sterne, massearme Sterne und alles dazwischen. Und wir wissen ja auch, dass die Lebensdauer eines Sterns von der Masse abhängt: Je mehr Masse ein Stern hat, desto heißer ist er und desto schneller hat er den Wasserstoff in seinem Inneren durch Kernfusion verbrannt. Massereiche Sternen leben nur ein paar Dutzend Millionen Jahre, massearme Sterne können Milliarden bis Billionen Jahre durchhalten. Wir können jetzt also von allen Sternen der Hyaden die Masse und die Helligkeit bestimmen. Beziehungsweise die Temperatur und die Helligkeit, was ja aufs gleiche rauskommt. Das tragen wir in ein Diagramm ein und kriegen das, was ich vor langer Zeit in Folge 6 der Sternengeschichten erzählt habe: Ein sogenanntes Hertzsprung-Russell-Diagramm der Hyaden.
Normalerweise sehen wir in so einem Diagramm, wie sich die Sterne entlang einer Linie anordnen, die von hellen und heißen Sternen diagonal nach unten zu den dunklen und kühlen Sternen führt. Bei den Hyaden wird man aber sehen, dass diese Linie am oberen Ende quasi abgeschnitten ist. Die hellen und heißen Sterne fehlen im Diagramm und sie fehlen deswegen, weil sie ihr Leben schon beendet haben. Die ganz hellen und ganz heißen verschwinden zuerst, dann die ein bisschen weniger hellen und heißen, und so weiter. Die Sterne eines Haufens entstehen zwar alle gemeinsam. Aber weil die Lebensdauer eines Sterns direkt mit der Masse, also der Helligkeit und der Temperatur zusammenhängt, verschwinden sie, schön nach Masse geordnet, der Reihe nach. Wir müssen also nur noch nachschauen, wie groß die Masse der massereichsten noch existierenden Sterne in den Hyaden ist und können daraus berechnen, wie viel Zeit seit seiner Entstehung vergangen sein muss, damit die anderen alle verschwinden konnten.
Im Fall der Hyaden sehen wir, dass die aktuell dort noch vorhandenen massereichsten Sterne circa 2,3 mal so schwer sind wie die Sonne was auf ein Alter von um die 600 Millionen Jahre hindeutet. Und ein paar hundert Millionen Jahre lang wird es den Haufen auch noch geben. Dann werden die schwereren Sterne ihr Leben beendet haben und die leichteren aus dem Haufen evaporiert sein. Am Ende bleiben vielleicht noch ein paar Dutzend Sterne übrig, die der endgültigen Auflösung des Haufens noch ein bisschen länger wiederstehen können. An unserem Himmel werden die Hyaden dagegen schon etwas früher aufhören, der prominente und beeindruckende Anblick zu sein, der sie derzeit sind. Die Sterne der Hyaden bewegen sich natürlich alle durch die Milchstraße, sie tun es aber alle zusammen in die selbe Richtung mit mehr oder weniger der selben Geschwindigkeit. Von der Erde aus beobachtet bewegen sie sich auf einen Punkt zu, der ein Stückchen östlich des hell leuchtenden Sterns Beteigeuze im Sternbild Orion liegt. Aus unserer Sicht entfernt sich der Haufen also, und schrumpft dadurch auch scheinbar. Was jetzt noch eine ausgedehnte, markante Sterngruppe im Kopf des Stiers ist, wird in ein paar Dutzend Millionen Jahren ein eng gedrängter Lichtfleck über der Schulter des Orion sein.
Aber noch können wir die Hyaden in Ruhe betrachten. Sowohl mit unseren eigenen Augen am Nachthimmel, als auch mit wissenschaftlichen Instrumenten. Weil die Hyaden uns vergleichsweise nahe sind, sind sie ein wunderbarer Ort, um die Entwicklung von Sternen im Detail beobachten zu können und noch dazu eines ganzen Haufens an Sterne, die alle gemeinsam entstanden sind. Sie werden uns noch lange Zeit wissenschaftliche Daten liefern. Und noch viel länger wird uns ihr Anblick am Nachthimmel Freude bereiten - zumindest wenn wir ignorieren, dass es sich dabei laut griechischen Mythen um einen Haufen weinender Schwestern handelt.
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