Sternengeschichten Folge 665: Der Meteorit von L'Aigle
Shownotes
Sternengeschichten Folge 665: Der Meteorit von L'Aigle
Meteoriten sind Überreste von Asteroiden, die mit der Erde kollidiert sind. Überall auf der Welt haben wir diese Brocken aus Stein und Metall gefunden und mit ihnen können wir erforschen, wie die Objekte dort draußen im Weltall beschaffen sind und funktionieren. Aber das Wissen über ihren kosmischen Ursprung ist noch vergleichsweise jung. Erst vor gut 200 Jahren hat sich die Wissenschaft davon überzeugen lassen, dass diese Brocken wirklich aus dem Weltall kommen. Der Wendepunkt war ein Ereignis in der kleinen französischen Stadt L'Aigle.
Bevor wir aber schauen, was dort am 26. April 1803 passiert ist, schauen wir aber noch ein Stück weiter in die Vergangenheit. Steine, die vom Himmel fallen, haben die Menschen immer schon beobachtet. Es gab allerdings unterschiedliche Vorstellungen darüber, um was es sich dabei handelt. Im Jahr 861 haben Menschen in Japan einen hellen Lichtblitz in der Nacht gesehen und eine laute Explosion gehört und am nächsten Tag einen großen, schwarzen Stein im Garten eines Tempels gefunden. Die Priester haben das als Zeichen des Himmels betrachtet und den Stein als speziellen Schatz aufgehoben. 1492 hat ein Junge in der französischen Stadt Ensisheim einen Stein vom Himmel in ein Weizenfeld fallen sehen und auch das wurde als göttliches Zeichen interpretiert.
In der Antike hat man natürlich auch schon über die Steine Bescheid gewusst, die vom Himmel fallen. Im 5. Jahrhundert vor Christus hat der Philosoph Diogenes von Apollonia erklärt, dass das unsichtbare Sterne wären, die zur Erde fallen. Aristoteles dagegen war fest überzeugt, dass es sich um ein Phänomen in der Atmosphäre handeln muss; dass sich dort irgendwie Materie zusammenklumpt, die dann zu Boden fällt. Das altgriechische Wort "meteoros" bedeutet auch so viel wie "in der Luft schwebend" und die diversen Erscheinungen, die dort in der Luft stattfinden, hat Aristoteles in einem Buch mit dem Titel "Meteorologie" beschrieben. Dieses Wort verwenden wir heute noch, wenn wir von der Wissenschaft der Atmosphäre und des Wetters sprechen. Aber wir finden es eben auch im Wort "Meteorit". Denn das Werk von Aristoteles hatte auch weit über die Antike hinaus großen Einfluss und seine Vorstellungen sind von den Gelehrten des Mittelalters und der frühen Neuzeit übernommen worden. Deswegen war man auch im 18. Jahrhundert noch davon überzeugt, dass Meteorite nicht aus dem Weltall kommen. Man ging davon aus, dass es Steine sind, die vielleicht durch Vulkane oder Blitzeinschläge in die Luft geschleudert werden und dann wieder runterfallen. Oder dass Blitze irgendwas in der Atmosphäre anstellen, um dort Steine entstehen zu lassen. Oder vielleicht haben auch die Polarlichter was damit zu tun. Der erste, der sich ernsthaft und wissenschaftlich mit einem kosmischen Ursprung der Meteorite beschäftigt hat, war der deutsche Naturforscher Ernst Florens Friedrich Chladni. In einer Arbeit aus dem Jahr 1794 trug er diverse Aussagen von Leuten zusammen, die den Fall von Meteoriten beobachtet haben. Er hat argumentiert, dass es nichts mit Polarlichtern zu tun haben kann, weil man solche Feuerbälle überall auf der Welt sehen und finden kann. Die Menschen haben beobachtet, dass sich die fallenden Steine auf gerader Linie durch die Luft bewegen, was ganz anders aussieht, als die gezackten Bahnen der Blitze und deswegen können auch die nicht damit in Verbindung stehen. Wenn die Objekte sich auf so geraden Bahnen bewegen, dann muss es sich um kompakte, schwere Brocken handeln, und die müssen dann von außerhalb der Atmosphäre stammen. Und so weiter: Chladni hat probiert, den Nachweis zu erbringen, dass die Objekte aus dem Weltall kommen müssen. Nicht alle seine Argumente sind aus heutiger Sicht korrekt und er konnte nur wenige seiner Behauptungen wissenschaftlich einwandfrei belegen. Und die Leute waren auch nicht gewillt, ihm zu glauben. Erstens kann man dem Gerede von irgendwelchen Bauern nicht trauen, die behaupten, Steine fallen gesehen zu haben. Und zweitens hat Newton schon gesagt, dass der Weltraum leer ist und wo keine Steine sind, können auch keine Steine fallen. Drittens, Viertens usw hat es natürlich auch gegeben und man hat zwar über Chladnis Buch geredet und diskutiert - an der Meinung, dass die Meteoriten aus der Atmosphäre stammen und nicht aus dem All, hat sich allerdings nichts geändert.
Bis zum 26. April 1803. Um circa 13 Uhr ist an diesem Tag über der französischen Kleinstadt L'Aigle in der Normandie ein großer Feuerball über den Himmel gerast. Es gab drei laute Explosionen, die wie Kanonendonner geklungen haben. Und danach sind tausenden Steine über die ganze Stadt zu Boden gefallen. Menschen haben gesehen, wie sie in die Felder einschlagen und durch die Dächer von Häusern brechen. Zuerst berichten nur lokale Zeitungen über das Ereignis, aber bald wird auch die offizielle französische Wissenschaft aufmerksam. Im Juni 1803 schickt das Innenministerium den damals 29jährigen Physiker Jean-Baptiste Biot nach L'Aigle, um einen Bericht über das Ereignis zu erstellen. Er sammelte 17 der gefallenen Steine ein und er sprach mit jeder Menge Menschen, die das Ereignis beobachtet hatten. In seinem Bericht hat er die Fundorte der Steine vermerkt und probiert, eine möglichst genaue Karten zu erstellen, die zeigt, wo die unzähligen Brocken zur Erde gefallen ist. Er hat die Meteoriten chemisch und physikalisch analysiert und im Juli 1803 seinen ausführlichen Bericht an die Behörden übergeben.
Biot hat sich Mühe gegeben, die Berichte der Menschen möglichst klar darzustellen. Er hat die Gemeinsamkeiten der Sichtungen herausgearbeitet und alles so deutlich gemacht, dass ihm niemand vorwerfen konnte, dass das ja wieder nur irgendwelche dummen Bauern sind, die nicht wissen, was sie erzählen und sich irgendeinen abergläubischen Quatsch einbilden. Der Feuerball am Himmel, die Explosionen, die fallenden Steine, und so weiter: All das wurde von jeder Menge Menschen unabhängig voneinander in übereinstimmender Weise geschildert. Die Karte von Biot, die das sogenannte "Streufeld" zeigt, also den Bereich, in dem die Steine gefallen sind, war ebenfalls überzeugend. Es war ein zusammenhängendes Gebiet in dem mehrere tausend Meteoriten zu Boden fielen. Das kann kein Blitz verursachen und kein Vulkanausbruch. Die Löcher in den Dächer und am Boden haben außerdem gezeigt, dass die Dinger mit enormer Wucht zu Boden gefallen sind. Und die von ihm gesammelten Steine waren ebenfalls alle einheitlich: Jeder hat eine dunkle Schmelzkruste an der Außenseite gezeigt und metallische Einschlüsse im Inneren. Die bestehen, wie eine chemische Analyse gezeigt hat, aus Eisen und Nickel und in Gestein von der Erde findet man Nickel nur extrem selten. Außerdem konnte Biot zeigen, dass die Steine von L'Aigle anderen "himmlischen Steinen", wie zum Beispiel dem aus Ensisheim sehr ähnlich sind.
Insgesamt stand für Biot am Ende fest: Die Vorgänge in L'Aigle belegt klar und deutlich, dass Meteoriten aus dem Weltall kommen müssen. Der Fall von L'Aigle war außerdem kein Einzelfall: Meteoriten fallen regelmäßig auf die Erde; sie haben das in der Vergangenheit getan und werden das auch in Zukunft tun. Der Bericht von Biot war so überzeugend und seine Argumente so gut belegt, dass auch der Rest der Wissenschaft seinen Aussagen gefolgt ist. Natürlich gab es auch jetzt immer noch Leute, die anderer Meinung waren. Aber im großen und ganzen gab es seit damals keine Zweifel mehr daran, dass wir es bei den Meteoriten tatsächlich mit außerirdischem Material zu tun haben. In den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten haben wir dieses Wissen genutzt und erweitert um mehr über das Weltall heraus zu finden. Immerhin sind die Meteoriten die einzigen Proben anderer Himmelskörper, für deren Untersuchung wir nicht weit hinaus ins All reisen müssen. Es ist zwar ein dramatischer und gefährlicher Vorgang, wenn sie bei uns auf der Erde eintreffen. Aber sie bieten uns auch eine einzigartige Möglichkeit, das Universum besser zu verstehen.
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