Sternengeschichten Folge 664: Ein Blitzar und eine Erklärung für die mysteriöse Radiostrahlung aus dem All
Shownotes
Sternengeschichten Folge 664: Ein Blitzar und eine Erklärung für die mysteriöse Radiostrahlung aus dem All
Wenn ich in dieser Folge von einem "Blitzar" rede, dann meine ich definitiv nicht die Dinger, die am Straßenrand stehen und überprüfen, ob man mit dem Auto zu schnell unterwegs ist oder nicht. Es geht nicht um Blitzer, sondern um astronomische Objekte, von denen wir noch nicht wissen, ob sie existieren. Aber wenn sie existieren, könnten sie eine Erklärung für ein mysteriöses astronomisches Phänomen darstellen. Und bevor wir angesichts von Hypothesen und Mysterium den Überblick verlieren, fangen wir mit dem an, was wir wissen.
Seit dem Jahr 2007 beobachten wir sogenannte "Fast Radio Bursts". Ich habe darüber in Folge 487 der Sternengeschichten ausführlich erzählt, aber im Wesentlichen handelt es sich dabei um sehr starke Radiosignale aus dem Weltall, die sich nicht wiederholen, nur Millisekunden oder höchstens ein paar Sekunden lang dauern und deren Ursprung wir bis jetzt nicht zweifelsfrei geklärt haben. Und ich sage sicherheitshalber gleich zu Beginn, dass die ganze Angelegenheit nichts mit Radiobotschaften irgendwelcher intelligenten außerirdischen Lebewesen zu tun hat. Erstens sind die Radiosignale nicht so beschaffen, wie Radiosignale beschaffen wären, wenn sie irgendwelche Informationen übermitteln sollen. Und zweitens ist Radiostrahlung ein völlig normales Phänomen im Universum. Jede Menge astronomische Objekte und Ereignisse erzeugen elektromagnetische Strahlung mit der Wellenlänge, die wir als "Radiowellen" bezeichnen. Aber im Allgemeinen sind das Radiowellen, die kontinuierlich abgestrahlt werden - ein so extrem kurzes Blitzen mit so einer großen Intensität ist äußerst ungewöhnlich.
Es gibt jede Menge Hypothesen zum Ursprung der Fast Radio Bursts und eine davon hat mit "Blitzaren" zu tun. Dieses Wort haben die Astronomen Heino Falcke und Luciano Rezzolla in einer wissenschaftlichen Arbeit aus dem Jahr 2014 erstmals verwendet. Sie beschreiben darin eine sehr außergewöhnliche Weise, wie ein schwarzes Loch entstehen kann und bei der gleichzeitig ein Fast Radio Burst ausgesandt werden könnte.
Das ganze läuft so ab: Ich habe in den Sternengeschichten schon oft davon erzählt, was passiert, wenn Sterne am Ende ihres Lebens nicht mehr genug Brennstoff für die Kernfusion in ihrem Inneren haben. Wenn sie keine Energie in Form von Strahlung mehr erzeugen können, dann kollabieren sie unter ihrem eigenen Gewicht. Ist die Masse gering, wie bei unserer Sonne, dann bleibt ein dichter Kern übrig, den wir als "weißen Zwerg" bezeichnen. Ist die Masse sehr groß, dann kollabiert der Stern zu einem schwarzen Loch. Und liegt sie dazwischen, dann entsteht ein Neutronenstern. Auch diese Objekte sind schon oft in den Sternengeschichten vorgekommen: Es handelt sich um Objekte, die ungefähr so viel Masse haben wie unsere Sonne, gleichzeitig aber nur ein paar Dutzend Kilometer groß sind. Die Materie ist dort so enorm verdichtet, dass sie sich nicht mehr so verhält, wie die normale Materie eines Sterns es tun würde. Es gibt dort keine unterschiedlichen Atome mehr; keinen Wasserstoff, kein Helium, und so weiter. Alles ist so dicht an dicht gepresst, dass auch die Bestandteile der Atome quasi ineinander gedrückt worden sind. Die elektrisch negativ geladenen Elektronen aus den Atomhüllen verschmelzen regelrecht mit den elektrisch positiv geladenen Protonen aus den Atomkernen und es bleiben nur elektrisch neutrale Neutronen übrig, die so dicht zusammenrücken, wie Materie nur zusammenrücken kann. So eine Kugel aus extrem dichten Material nennt man "Neutronenstern" und er darf auch nicht zu viel Masse haben. Wenn der Neutronenstern mehr als circa die 2,2fache Masse der Sonne hat, dann fällt alles in sich zusammen und es entsteht ein schwarzes Loch.
Neutronensterne sind aber auch noch auf andere Weise extrem. Sie können zum Beispiel extrem schnell rotieren und sich ein paar tausend Mal pro Sekunde um ihre Achse drehen. Auch das liegt an ihrer enormen Verdichtung. Der Stern, aus dem sie entstanden sind, hat sich ja auch gedreht, nur halt sehr viel langsamer. Wenn die Masse aber dann beim Tod des Sterns plötzlich auf einen sehr viel kleineren Raum konzentriert wird, erhöht sich auch die Rotationsgeschwindigkeit. Das liegt an der Drehimpulserhaltung und ist derselbe Effekt, den man auch beim Eiskunstlauf beobachten kann, wenn dort jemand die Arme eng an den Körper legt, um so eine schnelle Pirouette zu drehen. Aus dem gleichen Grund haben Neutronensterne auch sehr starke Magnetfelder; auch sie werden verstärkt, wenn die Masse des Sterns verdichtet wird und die Magnetfeldlinien dicht aneinander rücken.
Das ist zwar alles enorm spektakulär, aber so weit noch nicht neu. Heino Falcke und Luciano Rezzolla haben sich nun aber überlegt, ob es nicht vielleicht doch auch Neutronensterne geben könnte, die mehr als die theoretische Grenzmasse von 2,2 Sonnenmassen haben könnten. Eigentlich wäre das zwar viel zu viel Masse, und die Kräfte zwischen der Materie wäre nicht in der Lage zu verhindern, dass alles immer weiter kollabiert. Aber es muss deswegen nicht sofort ein schwarzes Loch entstehen, so Falcke und Rezzolla. Denn wenn der Neutronenstern wirklich schnell rotiert, könnte die Zentrifugalkraft diesen Kollaps verhindern. Durch die schnelle Rotation wird die Materie quasi nach außen gedrückt, obwohl sie eigentlich unter ihrem eigenen Gewicht in sich zusammenfallen will. Solange ein Neutronenstern sich also ausreichend schnell um seine Achse dreht, kann er auch mehr Masse haben, als er eigentlich haben dürfte.
Das Problem an der Sache ist aber: Ein Neutronenstern kann nicht beliebig lange schnell rotieren. So ein Neutronenstern ist quasi ein sehr starker Magnet, der sich schnell dreht und dessen magnetische Achse - also die Linie zwischen magnetischen Nord- und Südpol - nicht zwingend mit der Rotationsachse übereinstimmen muss. Das bedeutet, dass sich die magnetische Achse ebenfalls im Raum bewegt und wenn sich ein Magnet auf diese Weise bewegt, dann strahlt er Energie ab (das ist im Prinzip das selbe Phänomen, durch das wir auch Radiosignale mit Antennen aussenden können). Wenn so ein Neutronenstern Energie abstrahlt, dann bleibt das aber nicht ohne Folgen - die verlorene Energie führt dazu, dass sich seine Rotationsgeschwindigkeit verlangsamt. Dadurch wird aber auch die Zentrifugalkraft immer kleiner und irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem sie nicht mehr groß genug ist, um den Kollaps zu einem schwarzen Loch zu verhindern.
Was dann passiert, geht sehr schnell. Die Materie des Neutronensterns fällt unter ihrem eigenen Gewicht in sich zusammen. Das Objekt wird immer dichter und dichter und die Gravitationskraft in seiner unmittelbaren Umgebung dadurch immer stärker und stärker. Damit etwas aus dieser Umgebung entkommen kann, braucht man immer höhere Geschwindigkeiten und irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem die notwendige Geschwindigkeit größer als die des Lichts ist. Dann kommt gar nichts mehr aus der Umgebung des sterbenden Neutronensterns weg und ein schwarzes Loch ist entstanden. Es dauert nicht einmal eine Millisekunde, bis der ganze Neutronenstern in dem schwarzen Loch verschwunden, das er selbst erzeugt hat. Das ist so schnell, dass keine Zeit für irgendeine Art von Abstrahlung bleibt. Der Kollaps geht so fix, dass keine charakteristische Strahlung, die dabei entstehen würde, ausreichend Zeit hätte, zu entkommen. Wir würden von diesem Kollaps also auch nichts mitbekommen, wenn da nicht das Magnetfeld des Neutronensterns wäre. Das reicht weiter hinaus und verschwindet nicht sofort.
Zuerst verschwindet der Neutronenstern selbst im schwarzen Loch, sein Magnetfeld ist aber noch da und außerhalb davon. Nur halt jetzt ohne Neutronenstern. Das Feld trennt sich also ab, steht schlagartig alleine da, die Feldlinien verbinden sich miteinander und das was passiert ist im Wesentlichen ein gewaltiger Kurzschluss, bei dem in Sekundenbruchteilen die ganze Energie freigesetzt wird, die zuvor im Magnetfeld gespeichert war. Das Resultat: Ein kurzer, starker Blitz aus Radiostrahlung, der sich nicht wiederholt und keine ersichtliche Quelle zu haben scheint. Also genau das, was wir in Form der "Fast Radio Bursts" beobachten.
Wie gesagt: Das ist ein fiktives Szenario. Nach allem, was wir bis jetzt über die Physik und Astronomie von Neutronensternen wissen, würde das so ablaufen und Computersimulationen bestätigen das. Wir haben den Vorgang bis jetzt aber noch nicht beobachtet und es ist auch sehr schwer, so etwas zu beobachten. Aber es ist nicht unmöglich und wenn es solche "Blitzare" tatsächlich gibt, dann wäre das eine ziemlich coole Sache. Einerseits hätten wir dann eine Erklärung für die Fast Radio Bursts. Und andererseits könnte eine genaue Analyse dieser Radiosignale uns dann auch mehr über die Entstehung von schwarzen Löchern verraten und uns helfen, diese Objekte besser zu verstehen. Denn dann wäre ein Fast Radio Burst so etwas wie der letzte Gruß eines sterbenden Sterns an das Universum, bevor er sich hinter einem schwarzen Loch versteckt.
Neuer Kommentar