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Sternengeschichten Folge 660: "Mercury Retrograde" und echte Rückläufigkeit im Sonnensystem

Shownotes

Sternengeschichten Folge 660: "Mercury Retrograde" und echte Rückläufigkeit im Sonnensystem

Ok, der Titel dieser Folge ist ein wenig unverständlich. Aber keine Sorge, es geht um ein interessantes Phänomen in der Astronomie. Ich möchte etwas über rechtläufige und rückläufige Bewegung erzählen beziehungsweise über prograde und retrograde Bewegung, wie die astronomischen Fachbegriffe lauten.

Um was es sich dabei handelt, kann man eigentlich recht einfach beschreiben. Alle Himmelskörper im Sonnensystem unkreisen die Sonne. Ok, es gibt auch welche, die währenddessen noch einen anderen Himmelskörper umkreisen. Der Mond zum Beispiel umkreist die Erde während die Erde gemeinsam mit dem Mond um die Sonne kreist. Aber das ignorieren wir vorerst; wir bleiben bei den Objekten die direkt um die Sonne kreisen.

Außerdem drehen sich alle Himmelskörper um ihre eigene Achse. Mal schneller, mal langsamer, aber alles rotiert zwangsläufig immer, und warum das so sein muss, habe ich in Folge 238 der Sternengeschichten erzählt.

Jeder Himmelskörper führt also zwei Drehbewegungen gleichzeitig aus. Einmal um die Sonne herum und einmal um seine eigene Achse. Und die Begriffe "prograd" und "retrograd" beziehen sich auf die Richtung, in der das passiert. Bleiben wir vorerst mal bei der Bewegung um die Sonne herum. Wenn wir da darüber reden wollen, in welche Richtung sich die Objekte bewegen, müssen wir zuerst einmal ein paar grundlegende Dinge definieren. Wir haben es ja mit einem dreidimensionalen Raum zu tun in dem es kein oben und kein unten gibt. Wenn wir zum Beispiel von der einen Seite auf die Erdbahn schauen, dann bewegt sich die Erde in die eine Richtung, wenn wir von der anderen Seite schauen, dann bewegt sie sich in die andere Richtung. Deswegen definieren wir auch hier einmal die Himmelsrichtungen. Der "Nordpol" unseres Sonnensystems - den es in der Form natürlich nicht gibt - befindet sich in der Richtung, in der sich auch der Nordpol der Erde befindet. Anders gesagt: Wenn wir auf der Erde am Nordpol stehen und nach oben schauen, dann befindet sich über uns der nördliche Teil des Himmels und auch die nördliche Hälfte des Sonnensystems. Die andere ist dann logischerweise genau über dem Süpdol der Erde.

Damit wissen wir jetzt auch, wo Nord- und Südpol der Sonne sind und jetzt stellen wir uns vor, wir befinden uns genau über der nördlichen Hälfte der Sonne und blicken von ganz weit "oben" (ja, ich weiß ich hab gerade gesagt es gibt kein oben, aber stellen wir es uns trotzdem vor) auf die Sonne und Planeten hinunter. Die Planeten, die sich von diesem Blickwinkel aus gegen den Uhrzeigersinn um die Sonne bewegen, bewegen sich "rechtläufig" beziehungsweise "prograd". Sie bewegen sich in die selbe Richtung, in der auch die Sonne um ihre eigene Achse rotiert, die das nämlich aus diesem Blickwinkel auch gegen den Uhrzeigersinn tut. Das so zu definieren ist wirklich reine Konvention; man hätte es genau so gut andersherum machen können, aber man hat es nun einmal so rum gemacht.

Und nachdem wir das jetzt definiert haben, können wir schauen, welche Himmelskörper denn eine prograde Bewegung zeigen. Nämlich fast alle! Es ist natürlich kein Zufall, dass sich alle Planeten und fast alle Asteroiden in der gleichen Richtung um die Sonne bewegen, in der die Sonne sich um ihre eigene Achse dreht. Das hat mit der Art und Weise zu tun, in der Sonne, Planeten und der ganze Rest entstanden sind. Darüber habe ich auch schon öfter in den Sternengeschichten gesprochen. Nachdem sich die Sonne gebildet hat, ist aus dem restlichen Material eine Scheibe entstanden. Die Gas- und Staubteilchen aus denen diese Scheibe zusammengesetzt ist, haben sich um die Sonne bewegt und zwar in der Richtung, in der sich die Sonne um ihre Achse dreht. Das liegt an der Drehimpulserhaltung, die Drehbewegung eines Systems kann nicht einfach verschwinden. Die ursprüngliche kosmische Wolke aus der die Sonne entstanden ist, hat sich in eine Richtung gedreht und in diese Richtung hat sich dann auch später die Sonne selbst gedreht. In diese Richtung hat sich das Material der Scheibe gedreht und in diese Richtung haben sich dann auch die Planeten bewegt, die aus diesem Material entstanden sind.

Wie gesagt: Das muss alles so sein, das folgt direkt aus den grundlegenden Naturgesetzen. Und deswegen ist es besonders interessant, wenn es Himmelskörper gibt, die das nicht tun. Ich habe vorhin gesagt, dass sich FAST alle Himmelskörper prograd um die Sonne bewegen. Alle Planeten tun das, aber es gibt kleinere Objekte, die quasi als Geisterfahrer unterwegs sind. Wir kennen um die hundert Asteroiden, die sich auf retrograden Bahnen um die Sonne bewegen. Es gibt mehrere Gründe, warum sie das tun. In den meisten Fällen sind es gravitative Störungen, die dafür gesorgt haben. Das läuft natürlich nicht so ab, dass der Asteroid dann aus irgendeinem Grund stehen bleibt und in die andere Richtung wieder los fliegt. Es ist ein kontinuierlicher Prozess, der mit seiner Bahnneigung zu tun hat. Die Ebene der Erdbahn - die wir ja zu Beginn benutzt haben, um zu definieren, wo Norden und Süden im Sonnensystem ist - ist gleichzeitig auch die Referenzebene für das ganze Sonnensystem. Die großen Planeten bewegen sich alle auf Bahnen, die gegenüber der Erdbahn fast nicht geneigt sind. Aber bei Asteroiden können gravitative Störungen, zum Beispiel von Jupiter, dafür sorgen, dass sich die Bahnneigung ändert. Ich habe in Folge 435 schon im Detail über solche Störungsprozesse gesprochen, die sich insbesondere auf die Bahnneigung auswirkt. Jetzt stellen wir uns mal vor, die Neigung wird immer größer und größer. Wenn die Neigung exakt 90 Grad beträgt, dann bewegt sich der Asteroid senkrecht zur Erdbahn. Und wenn sie größer als 90 Grad wird und sich in Richtung 180 Grad bewegt, dann findet der Umlauf des Asteroiden um die Sonne zwar wieder in der Nähe der Ebene der Erdbahn statt - aber jetzt halt in die andere Richtung. In seltenen Fällen könnte es auch sein, dass ein Asteroid von außerhalb des Sonnensystems eingefangen wird und sich dann eben anders bewegt, je nachdem wie dieser Einfang stattgefunden hat. So etwas haben wir aber noch nicht eindeutig nachgewiesen; der Asteroid mit dem schönen Namen Kaʻepaokaʻawela in der Nähe des Jupiters könnte aber vielleicht so ein Fall sein.

Ein sehr prominentes Beispiel für retrograde Bewegung ist übrigens der Halleysche Komet. Bei Kometen liegt die Sache wieder anders: Viele von ihnen stammen ja aus der fernen Oortschen Wolke, die das Sonnensystem wie eine dicke Kugelschale umgibt. Die Kometen sind dorthin in der Frühzeit des Sonnensystems gelangt, als sie bei chaotischen Begegnungen und Kollisionen mit den jungen Planeten in alle Richtungen davon geschleudert worden sind. Für sie gilt die Beschränkung auf den Drehsinn der Sonne also nicht mehr und wenn sie wieder zurück in die inneren Bereiche des Sonnensystems gelangen, dann können sie genau so gut retrograd umlaufen wie prograd.

Bis jetzt habe ich nur von der Bewegung um die Sonne herum gesprochen. Man kann die Begriffe prograd und retrograd aber auch auf die Rotation der Himmelskörper um ihre eigene Achse verwenden. Die Erde dreht sich in die selbe Richtung um ihre Achse in der sich auch die Sonne um ihre Achse dreht: Die Erdrotation ist prograd. Und der Grund dafür ist - wie vorhin - wieder die Drehimpulserhaltung bei der Entstehung von Sonne und Planeten. Auch die anderen Planeten rotieren prograd, hier gibt es aber Ausnahmen, nämlich Venus und Uranus. Diese beiden Himmelskörper drehen sich retrograd, also genau andersherum als Sonne und die restlichen Planeten. Und auch hier deutet das wieder auf besondere Ereignisse in der Vergangenheit der Planeten hin. Wir wissen noch nicht genau, was diese Planeten, nicht in die vorgesehene Richtung zu rotieren. Es könnte eine Kollision mit einem anderen Planeten gewesen sein, der die Venus in der Frühzeit des Sonnensystems quasi umkippen hat lassen. Oder es war auch hier ein langsamer Prozess, verursacht durch sich aufschaukelnde gravitative Störungen.

Es gibt auch diverse Monde, die retrograd rotieren oder retrograd um ihren Planeten laufen. Triton zum Beispiel, der größte Mond des Neptun läuft entgegengesetzt der Bewegung der anderen Neptunmonde; dasselbe macht auch der Saturnmond Phoebe.

Und natürlich ist das alles nicht auf das Sonnensystem beschränkt. Wir können retrograde und prograde Bewegungen von Sternen um das Zentrum der Milchstraße untersuchen oder von Galaxien, die sich um andere Galaxien bewegen. Wir können den Drehsinn der zentralen schwarzen Löcher in Galaxien mit dem des restlichen Materials der Galaxie vergleichen, und so weiter. In jedem Fall aber verrät uns die Art der Rotationsbewegung etwas über die Entstehung und die Entwicklung der Himmelsobjekte, denn in dieser Bewegung steckt quasi die ganze bisherige Geschichte der Asteroiden, Planeten, Sterne und Galaxien.

Was uns dagegen überhaupt nichts verrät, sind die Menschen, die ständig irgendwas von "mercury retrograde" erzählen und Angst haben, dass bald irgendwas schlimmes passiert. Dabei geht es weder um eine reale astronomische Bewegung und noch nicht einmal um Astronomie, sondern um Astrologie. Mit "mercury retrograde" wird - sehr oft auch auf deutsch - das Phänomen bezeichnet, dass sich der Merkur am Himmel der Erde scheinbar rückwärts bewegt. Das tut er aber natürlich nicht wirklich. Aber der Merkur bewegt sich halt schneller um die Sonne herum als die Erde. Und wenn er uns gerade wieder einmal überholt sieht das aus Sicht der sich ja auch um die Sonne bewegenden Erde so aus, als würde der Merkur, wenn man ihn über mehrere Nächte hinweg beobachtet, an unserem Himmel eine kleine Schleife ziehen und sich dabei eine Zeit lang in die andere Richtung bewegen. Das können wir auch beim Mars oder der Venus beobachten (und auch bei den restlichen Planeten), aber das ist ein reiner Projektionseffekt, der nichts mit der echten Bewegung zu tun hat. Das wissen wir, seit wir wissen, dass sich die Erde um die Sonne bewegt. Als man noch dachte, dass es umgekehrt ist, war das mit der scheinbar rückläufigen Bewegung natürlich nicht so einfach zu erklären. Wahrscheinlich hat sich die Astrologie deswegen gedacht, dass so ein Verhalten der Planeten nichts Gutes bedeuten kann. Aber mittlerweile wissen wir seit über 400 Jahren, wie sich die Planeten wirklich bewegen; da hätte auch die Astrologie mal ein Update machen können. Stattdessen gibt es immer noch und immer öfter hysterische Meldungen, wenn der Merkur wieder einmal scheinbar rückläufig wird, weil dann angeblich wieder eine chaotische Zeit bevor steht.

Daran kann man vermutlich auch mit noch so vielen Erklärungen über Recht- und Rückläufigkeit etwas ändern. Was schade ist - denn in der Bewegung der Himmelskörper steckt so viel wahres und spannendes Wissen. Viel besser, als der Unsinn, den sich die Astrologie dazu ausgedacht hat.

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