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Sternengeschichten Folge 659: Ruby Payne-Scott und die Anfänge der Radioastronomie

Shownotes

Sternengeschichten Folge 659: Ruby Payne-Scott und die Anfänge der Radioastronomie

Dass es in der Astronomie mehr zu sehen gibt, als unsere Augen sehen können, habe ich ja schon oft erzählt. Die Himmelskörper leuchten in allen möglichen Farben und das, was wir im Alltag als "Licht" bezeichnen, ist nur ein winziger Ausschnitt davon. Darüber hinaus gibt es aber auch das Infrarot-Licht, das Ultraviolett-Licht; es gibt Mikrowellenlicht und Röntgenlicht und es gibt Radiolicht. Ich sagen deswegen zu allem "Licht", weil es physikalisch gesehen keinen relevanten Unterschied gibt zwischen dem, was unsere Augen sehen und dem, was wir zum Beispiel im Röntgengerät, der Mikrowelle oder dem Radioempfänger für Strahlung verwenden. Alles davon ist elektromagnetische Strahlung und der einzige Unterschied ist die Wellenlänge. Die Astronomie hat im Lauf der Zeit gelernt, all das zu beobachten und nur mit diesem kompletten Blick auf das Universum sind wir in der Lage, es wirklich zu verstehen.

Die Radioastronomie nimmt eine Sonderstellung ein. Neben der "normalen" Astronomie im für unsere Augen sichtbaren Licht, ist sie die einzige Beobachtungsmethode, die wir im großen Maßstab auch auf der Erde selbst durchführen können. Der ganze Rest der elektromagnetischen Strahlung aus dem Weltall wird von der Erdatmosphäre blockiert. Ich habe in Folge 223 der Sternengeschichten schon mal einen Überblick über die Geschichte der Radioastronomie gegeben, mich dabei aber vor allem auf die ganz frühe Geschichte konzentriert. Heute möchte ich eine Geschichte erzählen, die ich damals nicht erzählt habe, die es aber definitiv wert ist, erzählt zu werden. Es ist die Geschichte von Ruby Payne Scott, die nicht nur die erste Radioastronomin war, sondern auch maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die Radioastronomie die wichtige Disziplin geworden ist, ohne die die moderne Astronomie nicht denkbar wäre.

Ruby Payne-Scott wurde am 28. Mai 1912 in Grafton geboren, einer Stadt in New South Wales, die sich allerdings nicht im Süden von Wales befindet, sondern im australischen Bundesstaat New South Wales. Sie übersiedelte dann aber bald nach Sydney, wo sie die Schule besucht hat. Ihre Eltern hatten extra darauf geachtet, dass es Schulen sind, die Ruby auf ein Universitätsstudium vorbereiten und an der Universität von Sydney hat sie dann auch studiert; Physik, Chemie, Mathematik und Botanik. Mit ihrem Abschluss 1933 war sie erst die dritte Frau, die dort einen Abschluss in Physik geschafft hatte; Payne-Scott hat aber noch weiter studiert, einen Master in Physik und eine Ausbildung zur Lehrerin gemacht.

Ihre physikalische Ausbildung hat sie ab 1936 in einem aus heutiger Sicht eher seltsamen Forschungsgebiet eingesetzt. Sie hat untersucht, ob das Magnetfeld der Erde einen negativen Einfluss auf die Gesundheit hat; etwas, was viele Menschen damals immer noch geglaubt haben (und sich deswegen zum Beispiel beim Schlafen in Nord-Süd-Richtung hingelegt haben). Payne-Scotts Experimente haben gezeigt, dass das Quatsch ist und nach dieser Forschung hat sie dann ihren zweiten Abschluss genutzt und kurze Zeit als Lehrerin gearbeitet. Danach hat sie einen Job bei einem Hersteller von Funkgeräten angenommen; eigentlich als Bibliothekarin - aber mit ihren Fähigkeiten ist sie schnell in der dortigen Forschungsabteilung gelandet. So richtig viel Spaß hat ihr das aber trotzdem nicht gemacht und 1941 hat sie einen neuen Job am Radiophysikalischen Labor der Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation begonnen, quasi die offizielle Forschungsbehörde der australischen Regierung. Australien ist ja schon 1939 offiziell auf Seiten der Allierten dem zweiten Weltkrieg eingetreten und Radioforschung war extrem wichtig. Nicht unbedingt was die Kommunikation angeht, sondern vor allem die Radar-Technologie, um feindliche Flugzeuge frühzeitig erkennen zu können. Diese Technik wurde ja überhaupt erst während des zweiten Weltkriegs entwickelt und Ruby Payne-Scott war an genau so einem Top-Secret-Forschungsprojekt beteiligt.

Dass sie, als Frau, überhaupt so eine wichtige Rolle in der physikalischen Forschung spielen konnte, lag natürlich auch am zweiten Weltkrieg. Die Männer mussten kämpfen, die Forschung musste aber trotzdem gemacht werden - also gab es auf einmal auch für Frauen Möglichkeiten, die ihnen davor verwehrt waren. Ruby Payne-Scott jedenfalls hat schnell demonstriert, dass man durchaus auch früher damit anfangen hätte können, Frauen eine größere Rolle in der Forschung spielen zu lassen. Sie ist DIE australische Expertin für Plan-Position-Indicators geworden. Das Wort kennt man außerhalb der einschlägigen Forschung eher nicht. Aber alle haben mit Sicherheit schon einmal einen klassischen Radarschirm gesehen. Also dieses Ding, wo ein Strahl sich im Kreis dreht und wenn irgendwo ein Flugzeug, ein Schiff oder sonst irgendwas ist, macht es kurz "Pieps" und etwas leuchtet auf. Genau für dieses Ding ist Payne-Scott die Expertin gewesen und natürlich hat sie sich darüber hinaus auch mit anderen Aspekten der Radar- und Radioforschung beschäftigt.

Irgendwann war der Krieg aber zum Glück vorbei und am Radiophysikalischen Labor hat man begonnen, sich von der militärischen Radarforschung weg und zur damals noch jungen Radioastronomie hin zu orientieren. Genaugenommen hat man natürlich auch schon vorher ein wenig in diese Richtung experimentiert. Gemeinsam mit ihrem Chef, Joe Pawsey, hat Payne-Scott im März 1944 ein paar allererste Versuche in dieser Richtung unternommen. Die Resultate sind in einem internen Bericht veröffentlicht worden, mit dem eher unscheinbaren Titel "Messungen des Rauschpegels, der von einer S-Band-Antenne erfasst wird." Darin beschreiben die beiden, wie sie unter anderem die Temperatur des klaren Himmels gemessen haben und wie sie ihre Radioantenne dafür eingestellt haben. Das ist natürlich jetzt keine revolutionäre Forschung. Aber es war insofern revolutionär, als es das erste Mal war, dass eine Frau offiziell Radioastronomie betrieben haben. Ruby Payne-Scott ist also die erste Radioastronomin der Welt, aber noch lange nicht fertig mit der Arbeit.

Ihre komplette wissenschaftliche Leistung darzustellen, würde den Rahmen dieser Folge sprengen. Aber im Oktober 1945 führte sie zum Beispiel, gemeinsam mit ihren Kollegen Pawsey und Lindsay McCready, Radiobeobachtungen der Sonne durch. Die entsprechenden Ergebnisse veröffentlichen sie in der Fachzeitschrift Nature und berichten darin auch über einen Zusammenhang von Fluktuationen der empfangenen Radiostrahlung und dem Auftreten von Sonnenflecken. Sie konnten allerdings noch nicht klar zeigen, dass diese Fluktuationen auch wirklich von den Sonnenflecken verursacht werden, das kam erst später. Dazu brauchte es bessere Daten und eine andere Methode der Beobachtung. Während des Kriegs hatten Payne-Scott und ihre Kollegen eine Technik entwickelt, die sie jetzt für die Beobachtung der Sonne im Radiolicht einsetzen wollten. Dabei stellt man die Radioantenne auf eine Klippe, möglichst hoch über dem Meer. Radiostrahlung kann den Detektor jetzt einerseits direkt von der Sonne erreichen. Andererseits wird ein Teil der Strahlung auch von der Meeresoberfläche in Richtung Detektor reflektiert. Oder anders gesagt: Das Signal von der Sonne kommt zweimal bei der Antenne an, nur einmal ein klein wenig später, weil es durch die Reflektion ein kleines bisschen mehr Strecke zurück gelegt hat.

Wer ein wenig Ahnung von moderner Radioastronomie hat, wird schon vermuten, worauf das hinausläuft. Payne-Scott und ihre Kollegen haben mit Beobachtungen genau dieser Art Anfang 1946 das erste Mal die Technik der Radio-Interferometrie angewandt. Wie das heute funktioniert, habe ich in Folge 358 schon ausführlich erklärt. Im Wesentlichen läuft es darauf hinaus, dass man mehrere Teleskope das selbe Ziel beobachten lässt. Die Strahlung erreicht die Teleskope zu unterschiedlichen Zeitpunkten, weil sie jeweils eine minimal unterschiedlich lange Strecke zurück legen muss. Wenn man die Signale dann aber auf die richtige Weise kombiniert, kann man daraus mehr Informationen erhalten, als aus den jeweiligen Einzelsignalen und, wenn man es richtig anstellt, ein Teleskop simulieren, dass sehr viel größer ist, als das, was man in der Realität verwendet.

Heute nennen wir das in der Radioastronomie die Very Long Baseline Interferometry und es ist eine Standardtechnik, ohne die wir zum Beispiel im Jahr 2019 nicht das berühmte erste Bild eines schwarzen Lochs machen hätten können. Payne-Scott und ihre Kollegen haben im Jahr 1946 mit ihrem "See-Cliff-Interferometer" den Anfang gemacht und die mathematischen Methoden, die Payne-Scott zur Datenauswertung entwickelt hat, sind der Grundstein der späteren modernen Radioastronomie geworden.

Zwischen 1946 und 1951 konzentrierten Payne-Scott und ihre Kollegen sich auf die Ausbrüche an Radiostrahlung, die von der Sonne kommen. Sie konnten einige unterschiedliche Typen klassifizieren, je nach Dauer und Frequenz. Typ-I Bursts dauern Stunden bis Tage und kommen aus den Sonnenflecken, das war das, was schon in der ersten Arbeit aus dem Jahr 1945 vermutet wurde. Typ II Bursts dauern nur Minuten und werden in den Stoßwellen bei den koronalen Massenausbrüchen auf der Sonne verursacht. Und die Typ-III-Bursts sind nur noch ein paar Sekunden lang. Sie werden ebenfalls bei Sonneneruptionen erzeugt, von Elektronen die dadurch entlang der solaren Magnetfeldlinien beschleunigt werden. Payne-Scott selbst war die Entdeckerin dieses letzten Typs, aber auch bei der Entdeckung der anderen Arten von Strahlungsausbrüchen beteiligt.

Im Jahr 1951 endet die wissenschaftliche Karriere von Ruby Payne-Scott abrupt. Nicht, weil sie gestorben ist. Sondern weil sie im Jahr 1944 geheiratet hatte. Das war zwar nicht verboten, aber eine verheiratete Frau durfte damals in Australien keine Vollzeitstelle haben. Deswegen hielt Payne-Scott ihre Heirat auch geheim und änderte auch ihren Namen nicht. Im Jahr 1950 hat die Forschungsbehörde das aber entdeckt und sie wurde zur Teilzeitarbeit gezwungen. Bis zum Jahr 1951, da wurde Payne-Scott schwanger und durfte gar nicht mehr arbeiten.

Ruby Payne-Scott musste die Wissenschaft also verlassen und ist auch nicht mehr in die Forschung zurückgekehrt. Sie hat bis 1974 noch als Lehrerin an einer Schule gearbeitet und ist am 25. Mai 1981 kurz vor ihrem 69. Geburtstag gestorben. Trotzdem sie nur eine vergleichsweise kurze wissenschaftliche Karriere hatte, war es doch eine enorm wichtige Karriere. Ruby Payne-Scott war die erste Radioastronomin und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass diese Disziplin zu der erfolgreichen Wissenschaft geworden ist, die wir heute überall in der Astronomie einsetzen. Wie so oft in diesen Fällen hat es gedauert, bis man die Rolle von Ruby Payne-Scott auch entsprechend öffentlich anerkannt hat. Außerhalb der australischen-astronomischen Community hat kaum jemand von ihr gewusst; ihr Beitrag ist in Lehrbüchern und wissenschaftlichen Arbeiten regelmäßig ignoriert worden. Erst ab den 1990er und den frühen 2000er Jahren hat man ihr Leben und ihre Arbeit wieder "entdeckt" und mittlerweile gibt es immerhin ein paar Biografien über sie und die australische Akademie der Wissenschaften verleiht seit 2021 die "Ruby Payne-Scott Medaille" für hervorragende australische Wissenschaftlerinnen. Was definitiv eine gute Idee ist, noch besser wäre es aber vermutlich gewesen, hätte man einer so hervorragenden australischen Wissenschaftlerin wie Ruby Payne-Scott das Forschen nicht verboten.

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