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Sternengeschichten Folge 657: Der Asteroid Golevka

Shownotes

Sternengeschichten Folge 657: Der Asteroid Golevka

Am 10. Mai 1991 hat die amerikanische Astronomin Eleanor Francis Helin das gemacht, was sie schon sehr, sehr oft zuvor gemacht hat. Nämlich die Entdeckung eines neuen Asteroiden bekannt gegeben. Sie war für die Entdeckung von fast 1000 Asteroiden verantwortlich, entweder weil sie selbst die entsprechenden Beobachtungen angestellt hat oder weil sie am California Institute of Technologie und der NASA entsprechende Beobachtungsprogramme geleitet hat. Darunter waren einige wirklich wichtige Objekte, zum Beispiel der Asteroid Aten, das erste bekannte Objekt der nach ihm benannten Aten-Gruppe von Asteroiden, die die Erdbahn kreuzen können. Der Asteroid, den Helin im Mai 1991 entdeckt hat, hat zum damaligen Zeitpunkt allerdings noch nicht so ausgesehen, als würde er einmal sehr prominent werden. Genau das ist aber passiert und deswegen geht es heute um die Geschichte genau dieses Objekts, des Asteroiden mit dem Namen Golevka.

Und "Golevka" ist übrigens nicht der Name irgendeiner berühmten Person, einer Gottheit oder ein anderer Name dieser Art, der oft für Asteroidenbezeichnungen benutzt wird. Ursprünglich hat der Asteroid nur die übliche Bezeichnung aus Zahlen und Buchstaben bekommen, die alle neu entdeckten Objekte bekommen. In diesem Fall war das 1991 JX. Einen "echten" Namen bekommt ein Asteroid erst später, wenn seine Bahn ausreichend gut bekannt ist und wenn sich die Leute, die ihn entdeckt haben, erstens einig sind, wie er heißen soll und wenn sie die Zeit finden, sich um eine offizielle Benennung zu kümmern. Und wenn man so, wie Helin, nichts anderes tut als Asteroiden zu entdecken, dann kann das schon ein wenig dauern.

Im Jahr 1995 ist der Asteroid 1991 JX auf jeden Fall nahe genug an der Erde vorbei gekommen, um mit Radarstrahlen untersucht zu werden. Das ist ein sehr praktischer Weg, um mehr über solche Objekte zu erfahren: Man schickt Radiowellen von der Erde ins All und wartet, bis sie vom Asteroid reflektiert werden. Aus der Zeit, die die Signale brauchen, bis sie wieder auf der Erde registriert werden, kann man dann zum Beispiel die Form des Asteroiden berechnen. Das geht aber nur, wenn der Asteroid nicht zu weit weg ist. In diesem Fall aber hat es geklappt und es waren gleich drei Stationen, die entsprechende Messungen angestellt haben: Das Goldstone-Teleskop in Kalifornien, das Evpatoria Radioteleskop in der Ukraine und die Kashima-Station in Japan. Das hat Eleanor Helin zum Anlass genommen, um daraus einen Namen für den Asteroid zu basteln. "Gol" von Goldstone, "ev" von Evpatoria und "ka" von Kashima: Golevka.

Jetzt wissen wir, warum das Ding so heißt, wie es heißt. Aber das ist natürlich noch nicht die ganze Geschichte. Golevka gehört zur Gruppe der Apollo-Asteroiden, die, so wie die Aten-Asteroiden in der Lage sind, die Erdbahn zu kreuzen und damit prinzipiell in der Lage sind, auch mit der Erde zu kollidieren. Aber keine Sorge, Golevka ist nicht deswegen prominent, weil der Asteroid gefährlich für uns ist. Das ist heute keine Asteroideneinschlagsgeschichte, wir wissen, dass Golevka in den nächsten Jahrhunderten keine Gefahr für die Erde ist. Aber aus den Radarmessungen wissen wir, dass Golevka sehr unregelmäßig geformt ist. Je nachdem auf welche Seite des Asteroiden man schaut, sieht er mal eher dreieckig aus, mal wie ein Viereck oder komplett unförmig. Er ist ein paar hundert Meter groß, entlang seiner längsten Ausdehnung ist er circa 350 Meter lang. Die scharfen Kanten und Ecken, die er aufweist, sind ein Hinweis darauf, dass Golevka vermutlich das Bruchstück eines größeren Objekts ist, das bei einer früheren Kollision auseinander gebrochen ist. Aus den Radarbeobachtungen wissen wir auch, dass Golevka sich alle 6 Stunden einmal um seine Achse dreht. Womit wir jetzt schon fast beim eigentlichen Thema der Geschichte sind.

Das, was Golevka so interessant macht, haben die drei Astronomen David Vokrouhlický, Andrea Milani und Steve Chesley in einem Fachartikel aus dem Jahr 2000 untersucht. Die Arbeit trägt den eher technischen Titel "Jarkowski-Effekt bei kleinen erdnahen Asteroiden: Mathematische Formulierung und Beispiele". Das Ziel war es, herauszufinden, ob es Asteroiden gibt, bei denen man den Jarkowski-Effekt nachweisen kann. Darüber habe ich in Folge 112 schon einmal ausführlich gesprochen. Aber ich wiederhole es sicherheitshalber noch einmal kurz: Der Jarkowski-Effekt hat mit der Rotation und der Temperatur eines Asteroiden zu tun. So ein Asteroid wird ja von der Sonne aufgewärmt, aber natürlich nur auf der Seite, die der Sonne gerade zugewandt ist. Jetzt rotieren die Asteroiden aber auch. Das bedeutet: Die heiße Seite dreht sich von der Sonne weg und kühlt wieder ab. Und die kühle "Nacht"-Seite dreht sich in die Sonne und heizt sich auf. Das ist soweit noch nicht bemerkenswert. Aber "Aufheizen" und "Abkühlen" bedeutet ja nichts anderes, als das der Asteroid zuerst elektromagnetische Strahlung von der Sonne aufnimmt. Und danach wieder abgibt. Wenn aber ein Objekt Strahlung aufnimmt und wieder abgibt, dann wird dabei von der Strahlung eine kleine Kraft ausgeübt - über diesen "Strahlungsdruck" habe ich in Folge 507 ausführlich gesprochen, als es um das Sonnensegel ging.

Jetzt könnte man meinen, dass das bei einem Asteroid keine Rolle spielt. Die eine Seite wärmt sich auf, die andere kühlt ab und am Ende gleicht sich alles aus, oder nicht? Nicht ganz. Bei großen Objekten wie einem Planeten ist das so. Da verteilt sich alles über die ganze große Oberfläche. Aber bei kleineren Himmelskörpern muss man genauer hinschauen. Denn es wird umso mehr Strahlung abgegeben, je heißer ein Objekt ist. Das bedeutet, die heiße Seite, die gerade dabei ist, sich in die Nacht hinein zu drehen, strahlt sehr stark. Die Seite des Asteroiden dagegen, die gerade aus der Nacht heraus kommt ist natürlich kalt und strahlt wenig. Die Abstrahlung ist also asymmetrisch und es entsteht eine resultierende Kraft und weil es hier nicht nur um Tag oder Nacht geht, sondern quasi um die Vormittags und die Nachmittagsseite des Seite des Asteroiden, ist diese Kraft auch so gerichtet, dass sie den Asteroid auf die Sonne zu oder von ihr weg schiebt (je nachdem in welche Richtung er rotiert).

Das Fazit: Weil Asteroiden sich unterschiedlich stark aufheizen und abkühlen, wirkt auf sie eine kleine Kraft, die ihre Bahn verändern kann. Das nennt man "Jarkowski"-Effekt und wir wissen davon seit dem Jahr 1900. Als der vorhin erwähnte Artikel im Jahr 2000 erschienen ist, hat man diesen Effekt aber immer noch bei keinem einzigen Asteroiden tatsächlich gemessen. Es ist ja auch ein wirklich kleiner Effekt, da geht es um sehr geringe Distanzen, und man muss die Bewegung des Asteroiden sehr genau vermessen, was nur geht, wenn er von der Erde aus mit Radarbeobachtungen untersucht werden kann. Und das, wie ich vorhin schon erwähnt habe, ist nur bei wenigen Objekten möglich, die uns nahe genug kommen. Die drei Astronomen haben nun untersucht, welche Asteroiden prinzipiell gute Kandidaten wären, um den Jarkowski-Effekt endlich nachweisen zu können. Und Golevka hat sich als das vielversprechendste Objekt erwiesen. Einerseits wäre hier der Effekt groß genug, um ihn prinzipiell mit den vorhandenen technischen Mitteln nachweisen zu können. Andereseits hatte man von Golekva schon Radarmessungen aus der Vergangenheit als Grundlage und im Jahr 2003 würde er wieder nahe genug an der Erde sein, um neue Messungen machen zu können. Und mit denen müsste es, so das Fazit der Arbeit, möglich sein, den Effekt nachzuweisen. Und man sollte die Gelegenheit besser nicht verstreichen lassen, denn das nächste Mal würde Golevka erst im Jahr 2046 wieder nahe genug für passende Beobachtungen kommen.

Und natürlich hat man die Gelegenheit auch nicht verstreichen lassen. Im Jahr 2003 hat man das Arecibo-Radioteleskop benutzt um Daten zu sammeln und im September konnte man verkünden: Die Bewegung von Golevka lässt sich nur dann erklären, wenn man den Jarkowski-Effekt berücksichtigt. In den 12 Jahren zwischen der Entdeckung 1991 und den Messungen von 2003 hatte diese kleine Kraft für eine Verschiebung der Umlaufbahn von 15 Kilometer gesorgt. Der Asteroid ist also 15 Kilometer näher an die Sonne gerückt, was nicht nach viel klingt und nicht viel ist. Nicht mal ein Kilometer pro Jahr - aber wenn man dann überlegt, was das über einen Zeitraum von Millionen Jahren bedeutet, dann wird klar, dass der Jarkowski-Effekt durchaus relevant sein kann.

Ich habe gesagt, das wird keine Asteroideneinschlagsgeschichte und dabei bleibt es auch. Aber gerade dann, wenn wir wissen wollen, ob ein potenziell gefährlicher Asteroid auch wirklich gefährlich ist, müssen wir den Jarkowski-Effekt berücksichtigen. Ein paar Dutzend Kilometer können hier den Ausschlag zwischen Kollision und harmlosen Vorbeiflug geben. Wenn wir die Bahnen solcher Objekte berechnen, dürfen wir nicht vergessen, dass auf sie nicht nur die Gravitationskraft wirkt, sondern auch die Kraft, die aus ihrer Temperatur entsteht. Und das vergessen wir natürlich auch nicht. Wir haben mittlerweile den Jarkowski-Effekt auch bei anderen Asteroiden nachgewiesen und er wird bei allen relevanten Berechnungen berücksichtigt. Der Asteroid Golevka hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, ganz genau hinzusehen und dass es in der Astronomie nicht nur um Lichtjahre und riesige Distanzen geht, sondern manchmal auch ein paar Kilometer von enormer Bedeutung sein können.

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