Sternengeschichten Folge 655: Die mysteriösen Mondwirbel
Shownotes
Sternengeschichten Folge 655: Die mysteriösen Mondwirbel
Die italienische Astronomen Giovanni Battista Riccioli und Francesco Maria Grimaldi waren im 17. Jahrhundert unter den ersten, die sich intensiv mit einer wissenschaftlichen genauen Kartografie des Mondes beschäftigt haben. Sie haben probiert, möglichst viele Strukturen seiner Oberfläche zu erfassen, zu beschreiben und zu benennen. Größere Krater haben sie dabei nach Menschen benannt, die damals schon berühmt für ihre wissenschaftliche Arbeit waren. Zum Beispiel nach Galileo Galilei, aber nicht den Mondkrater mit der Bezeichnung "Galilaei", den wir auch heute noch auf den modernen Mondkarten finden. Dieser Krater wurde erst später so genannt, als man herausgefunden hatte, dass die ursprünglich von Riccioli und Grimaldi nach Galilei benannte Struktur gar kein Krater ist. Das ungefähr 70 Kilometer große Ding, das sie für einen Krater gehalten haben, trägt seit dem Jahr 1935 die offizielle Bezeichnung "Reiner Gamma". Das "Gamma" im Namen gehört zum gleich nebenan liegenden Krater "Reiner" und deutet an, dass es sich um eine Struktur handelt, die damit vielleicht irgendwie zusammenhängen könnte. Dieser Krater und damit indirekt auch Reiner Gamma wurde nach Vincenzo Renieri benannt; ebenfalls ein italienischer Astronom und ein Schüler von Galileo Galilei.
Wenn es sich bei Reiner Gamma aber nicht um einen Krater handelt, was ist es dann? Es ist ein sogenannter "Mondwirbel" oder "lunar swirl", wie der englische Fachbegriff heißt. Und was ist das? Die Antwort ist einfach: Das wissen wir nicht.
Reiner Gamma ist nur eine von mittlerweile mehreren bekannten Strukturen dieser Art, die als "Albedo-Formation" bezeichnet werden. Was aber eigentlich auch nicht viel mehr bedeutet, als dass dort "etwas" ist. Mit "Albedo" bezeichnet die Wissenschaft ja die Fähigkeit eines Materials, Licht reflektieren zu können. Die Oberfläche des Mondes ist im Bereich dieser Wirbel also unterschiedlich gut darin, Licht zu reflektieren und wir sehen dort deswegen helle und dunkle Muster. Die - wenig überraschend bei ihrer Bezeichnung - wirbelartig sind.
Helle, wirbelförmige Muster auf der ansonsten dunklen Mondoberfläche: Dank der modernen Teleskopen und der Aufnahmen der diversen Raumsonden, die den Mond aus der Nähe kartografiert haben, wissen wir mittlerweile sehr gut, wie die Mondwirbel aussehen. Aber wir wissen nicht, warum sie existieren. Zumindest nicht mit letzter Sicherheit; Ideen hat die Wissenschaft natürlich jede Menge.
Zuerst einmal ist es relativ klar, warum es die Unterschiede in der Helligkeit gibt. Normalerweise erkennt man am Mond und auf vergleichbaren Himmelskörpern daran das Alter des Materials. Alte Gesteinsschichten sind schon lange Zeit der Verwitterung ausgesetzt und werden dadurch dunkler. Und mit "Verwitterung" sind hier natürlich nicht die Prozesse gemeint, die wir hier auf der Erde damit bezeichnen. Es geht nicht durch die Veränderung des Gesteins aufgrund von Wind, Wasser oder Eis. Das findet auf dem Mond nicht statt, aber der Mond wird ständig von der kosmischen Strahlung getroffen. Diese geladenen Teilchen, die die Sonne andauernd ins Weltall schleudert, treffen auf die Mondoberfläche und verändert ihre chemische Zusammensetzung. Zusammen mit dem ebenfalls ständig stattfindenden Einschlägen von winzigen Meteoriten auf der Mondoberfläche führt auch das zu einer Verwitterung, wie ich in Folge 130 der Sternengeschichten ausführlich erklärt habe.
Man erkennt diesen Effekt sehr gut im Umfeld von großen Kratern: Beim Einschlag wurde Material aus den tieferen Schichten des Mondes an die Oberfläche geschleudert. Im Gegensatz zur schon verwitterten Umgebung ist es noch frisch und kann Licht gut reflektieren. Um die Krater herum erkennt man also jede Menge helle Linien und Muster. Mondwirbel wie Reiner Gamma sind aber keine Einschlagskrater. Das wissen wir aus den Daten, die von Raumsonden stammen, die den Mond umkreist und genau untersucht haben. Wir können messen, ob es da Höhenunterschiede gibt, wie bei Kraterstrukturen und so etwas sehen wir da nicht. Wir können auch messen, dass das Material der Wirbel nicht fremd ist. Es ist kein Zeug, das von Vulkanen in der Frühzeit des Mondes aus dem Inneren nach oben geschleudert worden ist oder das von einschlagenden Asteroiden stammt. Es ist das selbe Material wie der Rest der Mondoberfläche in der entsprechenden Region. Nur eben deutlich weniger verwittert.
Was wir aber aus den Beobachtungen sehen: Dort wo die Mondwirbel sind, gibt es magnetische Auffälligkeiten. Der Mond hat ja kein Magnetfeld wie die Erde, also ein globales Feld mit magnetischen Nord- und Südpol, dass durch die Vorgänge im Erdinneren erzeugt wird. Das Magnetfeld des Mondes wird durch das Material seiner äußeren Kruste erzeugt und es ist von Ort zu Ort unterschiedlich stark. Man geht davon aus, dass der Mond früher, als er noch heißer war einen flüssigen Kern hatte und dort die gleichen Prozesse abgelaufen sind, wie jetzt auf der Erde. Er hatte also auch ein gleichmäßiges Magnetfeld mit zwei Polen, das aber dann wieder verschwunden ist, als das Innere des Mondes erstarrt ist. Übrig geblieben ist nur noch ein bisschen Gestein, dass damals magnetisiert worden ist und heute immer noch magnetisch ist. Je nachdem wie viel davon irgendwo existiert hat der Mond von Ort zu Ort ein unterschiedlich starkes Magnetfeld.
Vielleicht ist es auch anders gelaufen, das wissen wir noch nicht so genau. Auf jeden Fall aber können wir Magnetfeldkarten des Mondes erstellen und genau aufzeichnen, wo das Feld stärker und wo es schwächer ist. Und sehen auf diesen Karten, dass die Wirbel sich in Regionen befinden, wo das Magnetfeld vergleichsweise stark ist. Damit würde sich auch der unterschiedliche Grad der Verwitterung erklären lassen: Die Teilchen der kosmischen Strahlung sind ja elektrisch geladenen. Ein starkes Magnetfeld hält sie von der Oberfläche fern. Die Mondwirbel sind demnach also nur optisch jung. Sie bestehen aus dem selben Material wie ihre Umgebung, aber lokale Magnetfeldschwankungen schützen sie gezielt vor dem Auftreffen der kosmischen Strahlung, wodurch sie weniger stark verwittern. Wir können sogar Details beobachten; in den hellen Streifen der Wirbel sind dunkle Bänder, die wieder heftiger verwittert sind und quasi die Feinstruktur der lokalen Magnetfelder abbilden. Und das legt nahe, dass dieser Effekt eben wirklich lokal sein muss. Die Abschirmung erstreckt sich nur über ein paar Dutzend bis ein paar hundert Meter.
Das erklärt ein wenig zum Ursprung der Lunar Swirls. Aber bei weitem noch nicht alles. Nicht überall, wo es magnetische Anomalien auf dem Mond gibt, finden wir zum Beispiel auch Mondwirbel. Wir wissen auch nicht, wie diese magnetischen Anomalien im Detail entstehen. Die meisten Mondwirbel - mit Ausnahme des prominenten Reiner Gamma - liegen genau gegenüber von Stellen, an denen früher sehr große Einschläge stattgefunden haben. Die dabei entstandenen Schockwellen könnten quasi einmal um den Mond gelaufen und sich auf der anderen Seite getroffen und dabei irgendwie für die Entstehung der lokalen Magnetisierung des Gesteins gesorgt haben, bzw. das magnetisierte Gestein dort irgendwie konzentriert haben.
Während der Apollo-Missionen ist man leider nicht in der Nähe eines Swirls gelandet, um Bodenproben einzusammeln. Die hätten alles viel einfacher für die Wissenschaft gemacht. Aber wir werden die Mondwirbel weiter erforschen. Denn abgesehen davon, dass sie uns viel über die Entstehung und Entwicklung unseres Nachbarn im All verraten können, könnten sie auch für uns Menschen sehr wichtig werden. Wenn wir wirklich vorhaben, uns in Zukunft länger oder sogar dauerhaft am Mond aufzuhalten, dann brauchen wir dafür entsprechende Habitate. Der Mond ist lebensfeindlich und das nicht nur, weil es dort keine Atmosphäre gibt, die wir atmen können. Weil es keine Atmosphäre und kein umfassendes starkes Magnetfeld gibt, ist die Mondoberfläche auch der kosmischen Strahlung schutzlos ausgesetzt. Nur deswegen kann das Mondgestein ja überhaupt auf die vorhin beschriebene Weise verwittern. Die kosmische Strahlung ist aber auch für uns Menschen gefährlich. Sie kann unsere Zellen schädigen und wir können nicht dauerhauft in einer so verstrahlen Umgebung leben. Wir müssen Abschirmungen bauen; müssten unterirdische Habitate anlegen, und so weiter. Das ist aufwendig - aber da könnten die Mondwirbel helfen. Wenn das wirklich Gebiete sind, die auf natürliche Weise vor der kosmischen Strahlung geschützt sind, dann wären sie unter Umständen genau die passenden Orte, für lange Weltraumissionen oder die Errichtung einer Mondbasis. Oder einer Mondstadt, wenn wir noch weiter in die Zukunft blicken. Wer weiß, vielleicht wird Reiner Gamma irgendwann einmal ein Ort, an dem jede Menge Menschen leben. Damit hätte Vincenzo Renieri vermutlich nicht gerechnet…
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