Sternengeschichten Folge 647: Marie Tharp, die Plattentektonik und die Berge im Ozean
Shownotes
Sternengeschichten Folge 647: Marie Tharp, die Plattentektonik und die Berge im Ozean
Unsere Erde ist ein einzigartiger Planet. Es ist der einzige uns bekannte Planet, auf dem es Leben und sogar intelligentes Leben gibt. Es ist der einzige uns bekannte Planet, auf dem Leben überhaupt möglich ist. Das wird sich mit Sicherheit in Zukunft ändern; wir werden Planeten bei anderen Sternen finden, die zumindest in der Theorie ebenfalls lebensfreundliche Bedingungen bieten. Aber auch jetzt schon können wir aus dem, was wir über die Ursachen für die Lebensfreundlichkeit der Erde wissen, Rückschlüsse darüber ziehen, wie häufig solche erdähnlichen und lebensfreundlichen Planeten im Universum sind: Nämlich nicht sehr häufig. Auch wenn anderswo im Universum einige "zweite Erden" sein mögen: Unsere Erde bleibt ein besonderer Ort. Und einer der vielen Gründe, der die Erde so lebensfreundlich, so besonders macht, ist die Tatsache, dass hier Plattentektonik existiert. Dass das so ist, wissen wir noch gar nicht so lange, wie man denken würde. Und DASS wir es wissen, haben wir auch der Arbeit der amerikanischen Geologin Marie Tharp zu verdanken.
Mit "Plattentektonik" bezeichnet die Wissenschaft das Phänomen, dass die äußerste Schicht der Erde nicht eine einzige, durchgängige Kugelschale ist. Sondern aus vielen großen und kleinen Stücken besteht, den Kontinentalplatten. Durch die Dynamik im Inneren der Erde bewegen sich diese Platten und das Resultat sind Erdbeben, Vulkanausbrüche, die Bildung von Gebirgen, und so weiter. Die Bewegung der Kontinentalplatten ist aber auch mit ein Grund, warum die Erde überhaupt lebensfreundlich für uns. Die Details würden in dieser Folge zu weit führen, aber die Plattentektonik ist zum Beispiel wichtig, um das Klima zu stabilisieren. Vulkanismus bringt CO2 aus dem Erdinneren in die Atmosphäre, das dann im Gestein gebunden wird, das wiederum durch das Absinken der Kontinentalplatten ins Erdinnere zurück kommt. Dieser langfristige CO2-Kreislauf ist wichtig, um die Erde lebensfreundlich zu halten; die Bildung von Kontinenten und ihr Auseinanderbrechen hat jede Menge unterschiedliche Lebensräume geschaffen, die Evolution beeinflusst, Nährstoffe und Chemikalien recycelt, und so weiter. Ohne Plattentektonik wäre die Erde nicht der Planet, der sie ist und wir würden mit Sicherheit nicht auf ihr leben. Wenn wir wissen wollen, was Planeten lebensfreundlich macht und wo wir sinnvollerweise anderswo im Universum mit Leben rechnen können, dann müssen wir uns auch mit der Plattentektonik beschäftigen. Und das macht die Geologie ja auch sehr intensiv. Das macht die Geophysik, das macht die Astro-Biologie, und so weiter. Aber bevor all diese Forschung stattfinden hat können, hat man erst einmal darauf kommen müssen, dass so etwas wie Plattentektonik überhaupt existiert.
Und das mit der Plattentektonik hat übrigens nicht Alfred Wegener erfunden, wie man vielleicht glauben könnte. Wegener, der deutsche Meteorologe hat im Jahr 1915 seine Theorie der Kontinentaldrift veröffentlicht. Darin hat er festgestellt, dass die Umrisse der Kontinente ähnlich aussehen, so ähnlich, dass das eigentlich kein Zufall sein kann. Heute weit voneinander entfernte Kontinente wie Afrika und Südamerika waren früher nicht getrennt, so Wegener. Sondern alle Teil eines riesigen Kontinents, der irgendwann auseinander gebrochen ist. Die Bruchstücke sind dann auseinander gedriftet, bis die Erde dann so ausgesehen hat, wie sie heute aussieht. Das Problem war nur: Alfred Wegener konnte nicht sagen, warum das alles passiert und welcher Mechanismus dafür sorgt, das Kontinente auseinanderbrechen und voneinander weg driften. Und unter anderem deswegen hat sich diese Idee auch nicht durchgesetzt.
Solche Mechanismen wurden dann aber bald entwickelt, zum Beispiel vom österreichischen Geologen Otto Ampferer. Er stellte sich das Innere der Erde dynamisch vor, mit Strömen aus geschmolzenen Gestein, die zur Bewegung der Kontinentalplatten führen. Auch andere entwickelten ähnliche Ideen, aber trotzdem hat sich diese Theorie der Plattentektonik nicht wirklich durchsetzen können. In der Geologie war die Mehrheit immer noch vom "Fixismus" überzeugt, also der Ansicht, dass sich die Kontinente eben nicht bewegen. Wenn, dann gibt es höchstens ein bisschen Bewegung in vertikaler Richtung, dh. die Erdkruste kann sich zum Beispiel aufwölben. Gebirge und ähnliches sind entstanden, weil sich die Erde im Laufe der Zeit abgekühlt hat und dabei geschrumpft ist. Dabei ist die Kruste ein bisschen zerbrochen, hat sich ein bisschen verschoben, und so weiter. Aber die enorme Dynamik, die im Inneren der Erde abläuft und an der Erdoberfläche für die Bewegung von Kontinenten sorgt, für Erdbeben und Vulkanausbrüche und so weiter: Die hat man abgelehnt. Das war so bis in die 1960er Jahre; erst durch die Arbeit der amerikanischen Geologin Marie Tharp ist - buchstäblich - Bewegung in die Sache gekommen.
Marie Tharp wurde am 30. Juli 1920 geboren. Ihre Mutter war Lehrerin für Deutsch und Latein, ihr Vater ein Gutachter für das Landwirtschaftsministerium, der deswegen durch die ganze USA gezogen ist, um Böden zu kartieren. Seine Familie ist ihm gefolgt und Marie hat ihm bei der Arbeit geholfen und so schon von Kindheit an gelernt, wie man Karten erstellt. Ihr Vater hat ihr auch gesagt, dass sie im Leben nach einer Arbeit suchen soll, die sie gerne hat. Während ihres Studiums an der Universität Ohio ist Marie das aber schwer gefallen. Sie hat ihr Hauptfach ständig geändert, mal Englisch, mal Musik, mal Mathematik, aber als Frau hatte man damals nicht viele Möglichkeiten: Lehrerin, Sekretärin und Krankenschwester waren die Optionen für Marie Tharp und nichts davon hat ihr Spaß gemacht. Aber dann, im Jahr 1941, hat Japan den amerikanischen Stützpunkt Pearl Harbor angegriffen, die USA sind in den zweiten Weltkrieg eingetreten und auf einmal gab es jede Menge Jobs, die niemand mehr machen konnte, weil die Männer alle im Krieg waren. Also mussten die Frauen die Lücken füllen und eine dieser Lücken fand Marie Tharp in der Geologie. Mit einem Studium der Geologie könne man, so die Werbung der Uni, danach einen Job in der Erdölindustrie kriegen. Also studierte Tharp Geologie und bekam einen Job bei einer Ölfirma. Aber der hat ihr auch nicht so wirklich großen Spaß gemacht. Also ging sie nach New York, um dort nach größeren Herausforderungen zu suchen. Im Amerikanischen Museum für Naturgeschichte, wo sie es zuerst versucht hat, hat sie die nicht gefunden. Aber dafür an der Columbia Universität. Dort arbeitete der Geophysiker William Maurice Ewing, der durchaus überrascht von ihrer vielseitigen Ausbildung war. Aber nicht beeindruckt genug, um sie auch entsprechend einzusetzen. Er hat sie als Zeichnerin eingestellt, die basierend auf den Daten der Geologen Karten und ähnliches erstellt.
Im Laufe der Zeit waren es dann aber vor allem die Daten eines Geologen, die sie fast ausschließlich bearbeitet hat: Bruce Heezen, der fast gleichzeitig mit Marie Tharp an der Universität Colombia zu arbeiten anfing. Und nein, das wird jetzt keine Liebesgeschichte; Tharp und Heezen haben tatsächlich nur zusammengearbeitet, nicht mehr. Und was haben die beiden so gearbeitet? Sie haben Daten gesammelt und ausgewertet. Oder besser gesagt: Heezen hat Daten gesammelt, denn die Daten um die es geht, sind Tiefenmessungen der Ozeane. Dafür muss man mit einem Schiff übers Meer fahren, und das durfte Tharp nicht, weil sie eine Frau war. Ihr Job war es, aus den Daten von Heezen und jeder Menge Messungen anderer Leute herauzufinden, wie der Grund des Ozeans aussieht. Damals dachte man noch, dass da nicht viel zu sehen ist. Am Grund der Meere ist mehr oder weniger eine Ebene, ohne besondere Eigenschaften. Ok, hier und da gibt es ein paar Aufwölbungen, ein paar Gebirge, wenn man so will. Das bisschen an Daten, dass man bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gesammelt hatte, haben zum Beispiel gezeigt, dass sich da mitten durch den Atlantik, von Nord nach Süd, eine Zone zieht, wo der Ozean nicht ganz so tief ist. Aber unter dem Wasser sollte es definitiv nicht aussehen wie am Land.
Die Auswertung der Daten war gar nicht so einfach. Ein Schiff konnte damals nur per Echolot die Tiefe messen. Und auch nur die Tiefe an genau dem einen Punkt, an dem man eben gerade misst. Ein Schallsignal wird durchs Wasser geschickt und dann wartet man, bis es wieder zurück kommt. Aus der Zeit die es dauert, bis der Schall am Ozeanboden reflektiert wird, kann man dann die Tiefe bestimmen. Tharp hatte also Unmengen solcher Einzelmessungen, verteilt über das Meer, immer dort wo die Schiffe gerade lang gefahren sind. Aber irgendwann hatte sie einen Schwung mehr oder weniger komplette Profile an Messungen, einmal quer über den Atlantik, von Ost nach West. Sechs Stück insgesamt, also vereinfacht gesagt, sechs Linien, die anzeigen, wie tief der Atlantik entlang dieser sechs Linien ist. Dort hat sie dann das gesehen, was man schon wusste: Nämlich dass sich in der Mitte eine Erhebung befindet. Sie hat aber auch entdeckt, dass in der Mitte des Gebirges eine Art tiefes Tal ist. Das war neu. Marie Tharp war überzeugt, dass es sich um einen Grabenbruch handelt. Heezen hielt das für Quatsch und hat die Sache mit dem Grabenbruch als "girl Talk" bezeichnet, also als "Frauengeschwätz". Um den Grund für diese Ablehnung zu verstehen, muss man wissen, was es bedeutet, wenn da wirklich ein Grabenbruch wäre. So ein Grabenbruch ist im Wesentlichen eine tiefe Spalte, die dort entsteht, wo die Erdkruste gedehnt wird. Und was kann die Erdkruste dehnen? Plattentektonik, war Tharp überzeugt. Dort, wo neues Material, wo Magma aus dem Inneren der Erde nach oben steigt, muss ein Riss entstehen, der die links und rechts davon gelegenen Platten auseinanderschiebt. So entsteht ein Grabenbruch und wenn sich sowas im Atlantik befindet, dann wäre das ein starker Beleg dafür, dass Plattentektonik tatsächlich existiert. Heezen war aber, so wie fast alle in der Geologie damals, Anhänger des Fixismus und hat alles abgelehnt, was nach Plattentektonik aussah.
So oder so: Die beiden haben weiter Daten gesammelt und Karten gezeichnet. Sie durften aber keine exakten Karten mit Höhenlinien zeichnen. Beziehungsweise durften sie das schon, aber die hat die amerikanische Navy als geheim eingestuft, also konnten sie nicht veröffentlich werden. Also haben Tharp und Heezen angefangen, physiographische Karten zu zeichnen. Das sind Karten, die die Erdoberfläche so zeigen, wie sie zum Beispiel aus einem tief fliegenden Flugzeug aussieht. Also Karten, die die physischen Eigenschaften der Landschaft zeigen, wo man Erhebungen erkennt, und auch die Landschaftsformen und Strukturen. Solche Karten kennt man aus jedem Atlas; es sind die Karten, auf denen man sofort die Gebirge, Wälder und Wüsten sieht und die sich nicht mit den politischen Grenzen der Länder aufhalten. In der Zwischenzeit hatte Tharp auch Gesellschaft im Büro bekommen. Howard Foster, dessen Aufgabe es war, Daten von tausenden Erdbeben in Karten einzuzeichnen. Dabei bemerkten die beiden, dass sich die Erdbeben genau dort ereignen, wo Tharp in ihren Karten die Grabenbrüche lokalisiert hat. Mittlerweile war auch Heezen überzeugt von den Grabenbrüchen und der Plattentektonik und die Übereinstimmung mit den Erdbeben war ein weitere Beleg dafür, dass die Plattentektonik real ist. 1956 wurde die erste Karte des Atlantiks der beiden veröffentlicht, aber die Arbeit war noch lange nicht vorbei. Noch mehr Daten wurden eingearbeitet, aus dem Mittelmeer, dem indischen Ozean, und so weiter. Außerdem gab es Streit zwischen Bruce Heezen und William Maurice Ewing, dem Chef der Abteilung. Ewing konnte Heezen nicht rauswerfen, weil der eine unkündbare Stelle an der Uni gehabt hat. Also wurde stattdessen und ungerechterweise einfach Marie Tharp gefeuert. Aber Heezen hatte noch Forschungsgelder von der Navy, mit denen er Tharp bezahlen konnte, die jetzt eben nicht mehr an der Uni sondern von zuhause aus gearbeitet hat.
Die schönste Karte des Meeresbodens wurde 1975 veröffentlicht: Das National Geographic Magazin hatte sie in Auftrag gegeben und dafür eine Zusammenarbeit von Tharp und Heezen mit Heinrich Berann angeregt. Der österreichische Grafiker hatte einen ganze eigenen Stil entwickelt, Panoromakarten der österreichischen Alpen zu zeichnen - und wer schon mal in Österreich Skifahren war und sich die Karten mit der Übersicht über die Pisten angesehen hat, hat dort genau diesen Stil gesehen - der nicht nur wissenschaftlich sondern auch künstlerisch eindrucksvoll war. Die fertige Karte sieht auch heute noch beeindruckend in ihrer Ästhetik aus, auch wenn wir mittlerweile natürlich sehr viel mehr wissen als damals. Aber all die Karten, die Marie Tharp gemeinsam mit Bruce Heezen und später mit Heinrich Berann gezeichnet und veröffentlicht hat, haben maßgeblich dazu beigetragen, dass sich im Laufe der 1960er Jahre die Meinung der wissenschaftlichen Gemeinschaft geändert hat. Heute zweifelt kaum noch jemand daran, dass Plattentektonik stattfindet. Marie Tharp hat das später so beschrieben: "Ich denke, unsere Karten haben zu einer Revolution im geologischen Denken beigetragen, die in gewisser Weise mit der kopernikanischen Revolution vergleichbar ist. Wissenschaftler*innen und die breite Öffentlichkeit erhielten erstmals ein relativ realistisches Bild eines riesigen Teils des Planeten, den sie selbst nie sehen konnten. Die Karten wurden breit rezipiert und weit verbreitet. Sie brachten die Theorie der Kontinentaldrift in den Bereich rationaler Spekulation. Man konnte den weltumspannenden mittelatlantischen Rücken sehen – und erkennen, dass er mit Erdbeben zusammenfiel. Die Grenzen der Platten wurden sichtbar, was rasch zur umfassenderen Theorie der Plattentektonik führte."
Und heute wissen wir auch, welche wichtige Rolle Marie Tharp dabei gespielt hat. Damals ist der Ruhm im Wesentlichen Bruce Heezen zugefallen und die Arbeit von Tharp wurde ignoriert. Aber auch darüber ist sie nicht unglücklich gewesen. 1999, 7 Jahre vor ihrem Tod am 23. August 2006 hat sie einen Artikel über ihr Leben und ihre Arbeit mit folgenden Worten beendet: "Ich habe den Großteil meiner wissenschaftlichen Laufbahn im Hintergrund gearbeitet, aber ich hege absolut keinen Groll. Ich fand, ich hatte großes Glück, einen so interessanten Beruf zu haben. Die Entdeckung des Grabenbruchs und des mittelozeanischen Rückens, der sich über 40.000 Meilen um die ganze Welt zieht – das war etwas Bedeutendes. So etwas kann man nur einmal entdecken. Größer als das kann man auf diesem Planeten nichts finden."
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