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Sternengeschichten Folge 641: W44 - Die Supernova und das flüchtende schwarze Loch

Shownotes

Sternengeschichten Folge 641: W44 - Die Supernova und das flüchtende schwarze Loch

Am 31. Dezember 1958 hat der niederländische Astronom Gart Westerhout die Ergebnisse seiner Beobachtungen mit dem Dwingeloo-Radioteleskop veröffentlicht, dass damals mit einem Durchmesser von 25 Metern das größte der Welt war. Er hat damit unter anderem die Gegend um den galaktischen Äquator abgesucht und dabei im Sternbild Adler einen Supernova-Überrest entdeckt. Das ist, wenig überraschend, dass, was übrig bleibt, wenn ein großer Stern am Ende seines Lebens bei einer Supernova explodiert. Also jede Menge Gas, das sich mit hoher Geschwindigkeit in alle Richtungen ausbreitet. Damals war es nur ein Eintrag in einem Katalog, mit der Bezeichnung W44. Heute ist der Supernova-Überrest W44 Thema jeder Menge wissenschaftlicher Arbeiten und ein einzigartiges Forschungsobjekt, das uns vielleicht zeigt, wie man das Unsichtbare in der Milchstraße entdecken kann.

Fangen wir mit den Grundlagen an. W44 ist um die 10.000 Lichtjahre von uns entfernt. Der Supernova-Überrest ist zwischen 17.000 und 20.000 Jahren alt; vielleicht auch älter, das lässt sich leider nicht so genau sagen. Das erste, was W44 besonders macht, ist seine Umgebung. Der Supernovaüberrest befindet sich direkt in einer Molekülwolke. Das sind die riesigen Wolken aus Gas und Staub die sich überall zwischen den Sternen befinden und aus denen neue Sterne entstehen können. Normalerweise sind Supernovaüberreste halbwegs symmetrisch, weil das Gas aus den äußeren Schichten des explodierenden Sterns in alle Richtungen davon geschleudert wird. Bei W44 ist das nicht so. In der nordwestlichen Region sieht man die charakteristischen Gasströme eines Supernovaüberrestes. In der südöstlichen Ecke dagegen stoßen diese Gase auf das Gas der Molekülwolke. So eine Wechselwirkung zwischen Supernova und Molekülwolke kann man nur ganz selten beobachten und alleine das macht W44 schon besonders und genau deswegen wird so intensiv daran geforscht. Unter anderem hat das auch der japanische Astronom Masaya Yamada von der Keio Universität mit seinem Team gemacht. Sie wollten herausfinden, wie viel Energie von der Supernova-Explosion auf das Gas der Molelekülwolke übertragen wird, unter anderem deswegen, weil diese Energie natürlich dort die Entstehung neuer Sterne anregen kann. Entdeckt haben sie aber etwas ganz anderes mit dem sie überhaupt nicht gerechnet haben.

Wenn man herausfinden will, wie viel Energie von der Supernova auf die Molekülwolke übertragen wird, muss man messen, wie sich das Gas bewegt und vor allem wie schnell sich das Gas bewegt. Dabei haben Yamada und sein Team eine Region entdeckt, wo sich das Gas enorm schnell bewegt. Es war mit über 100 Kilometer pro Sekunde unterwegs, was deutlich schneller ist, als sich Gas dort bewegen sollte. Dieser Bereich aus schnellem Gas ist ungefähr 2 Lichtjahre groß und sehr lang gestreckt. Es sieht aus wie ein Finger aus Gas, der sich aus der Wolke nach außen streckt. Die Spitze dieses Fingers ist dabei am schnellsten unterwegs, mit circa 120 Kilometer pro Sekunde, der Rest ist langsamer. Die Energie, die nötig ist, um diese Gasmassen so stark zu beschleunigen, ist ein paar Dutzend Mal größer als alles, was die Supernova liefern hätte können. Was also passiert dort? Was treibt das Gas mit dieser enormen Geschwindigkeit durchs All?

Yamada und sein Team habe zwei Möglichkeiten vorgeschlagen. Die erste haben sie das "Explosionsmodell" genannt. Es fängt alles ganz normal an, mit dem explodierenden Stern, der seine Gasschichten hinaus ins All schleudert. Wenn dann auf einmal hinter so einer Gasschicht noch eine Explosion stattfindet, könnte die dafür sorgen, dass ein Teil des Gases noch stärker beschleunigt wird und sich Finger ausbildet, wie der, den man beobachtet hat. Nur: Was soll da explodieren? Eine Möglichkeit wäre eine zweite Supernova, die unabhängig von der ersten stattgefunden hat. Die Chancen, das in einer vergleichsweise kleinen Region des Weltalls zwei Sterne so kurz hintereinander explodieren, sind zwar gering. Aber unmöglich ist es nicht.

Genauso wie eine andere Ursache für die Explosion. Vielleicht ist es auch so gelaufen: Der ursprüngliche Stern explodiert und schleudert sein Gas in alle Richtungen, soweit ist alles wie vorhin. Dann aber trifft dieses Gas auf ein Hindernis, nämlich ein schwarzes Loch. Das Gas, das in der Nähe dieses schwarzen Lochs vorbei strömt, wird davon angezogen, wirbelt enorm schnell herum und bildet eine Scheibe um das Loch. Dabei wird sehr viel Strahlung frei, die den Rest der ursprünglichen Gasschichten wie eine Explosion antreibt. Man kann sich das schwarze Loch wie eine Art Tretmine vorstellen. Das schwarze Loch ist irgendwann sehr viel früher entstanden, aus einem noch viel größeren Stern, der am Ende seines Lebens ebenfalls explodiert und dann kollabiert ist. Das ist aber schon so lange her, dass man hier keine Supernovaüberreste mehr erkennen kann; das ganze Gas ist weg und das schwarze Loch liegt unsichtbar für den Rest der Welt herum. Dann aber kommt vor ein paar zehntausend Jahren die jüngere Supernova und schleudert ihr Gas durch die Gegend. Es strömt in alle Richtung, ein Teil davon trifft auf das schwarze Loch, dass dadurch quasi aktiviert wird. Das Loch beschleunigt das Gas stark, bevor es verschluckt wird und dabei wird enorm viel Strahlung frei. Oder anders gesagt: Die Mine wird aktiviert, sie explodiert und treibt den Rest des Gases voran.

Das ist schon recht spektakulär, was aber auch für das zweite Modell gilt, das "Schuß-Modell". Es könnte auch sein, dass sich von irgendwo anders her im Weltall ein sehr dichtes, sehr schnelles Objekt auf den Supernovaüberrest und die Wolke zubewegt hat. Das wirkt dann quasi so wie eine Pistolenkugel, die in die Gasmassen hinein geschossen wird und wenn diese Kugel schnell genug unterwegs ist, kann sie Gas mit sich reißen und so die beobachtete Fingerstruktur bilden. In der Spitze des 2 Lichtjahre langen Gasfingers würde sich in diesem Modell immer noch das dichte, schnelle Objekt befinden, das bei seinem Flug das Gas mit sich nimmt. Und was für ein dichtes, schnelles Objekt könnte das sein? Das ist das spannende an der Sache: Auch hier kommt eigentlich nur ein schwarzes Loch in Frage. Beide Modelle zur Erklärung der seltsamen Gasfinger-Struktur benötigen ein schwarzes Loch. Im ersten Fall, beim Explosionsmodell ist es ein recht kleines schwarzes Loch, das nur circa 3,5 Mal so viel Masse wie unsere Sonne hat. Bei Schuß-Modell muss es mehr sein; da braucht man um die 36 Sonnenmassen.

Was es genau ist, kann man nur durch genauere Beobachtungen herausfinden. Der eigentlich wichtige Punkt aber ist: W44 hat uns vielleicht einen Weg geöffnet, wie man ansonsten unsichtbare schwarze Löcher entdecken kann. Wir wissen, dass es jede Menge davon in der Milchstraße geben muss. Alle ausreichend große Sterne werden zu schwarzen Löchern, wenn sie nicht mehr genug Material für die Kernfusion haben. Aber schwarze Löcher kann man eben nicht sehen. Man sieht nur ihre Auswirkungen auf ihre Umgebung, zum Beispiel wenn da irgendwo Gas oder anderes Material ist, dann in sie fällt und davor noch jede Menge Strahlung abgibt. Wir können die Anwesenheit eines schwarzen Lochs auch bemerken, wenn es Teil eines Doppel- oder Mehrfachsternsystems ist oder sich vergleichsweise nahe an anderen Sternen vorbei bewegt. Dann sehen wir den Einfluss der Gravitationskraft des schwarzen Lochs auf die Sterne und können auf seine Anwesenheit schließen. Ein isoliertes schwarzes Loch, das sich allein irgendwo im Weltall befindet, können wir allerdings nicht sehen. Aber, das hat uns die Erforschung von W44 gezeigt, wenn wir uns die Molekülewolken und Supernovaüberreste genau anschauen und nach Gas suchen, dass sich schneller bewegt, als es sollte: Dann haben wir eine Chance, den schwarzen Löchern auf die Spur zu kommen.

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