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Sternengeschichten Folge 640: Besteht das Universum aus Mathematik?

Shownotes

Sternengeschichten Folge 640: Besteht das Universum aus Mathematik?

Ich habe in den Sternengeschichten immer wieder über Mathematik geredet. Denn man braucht die Mathematik, wenn man die Welt verstehen will. Das, was in der Natur passiert, lässt sich durch mathematische Regeln und Gesetz beschreiben. Oder, wie es der Physiker Galileo Galilei im 17. Jahrhundert etwas poetischer ausgedrückt hat: "Die Philosophie ist geschrieben in jenem grossen Buche, das immer vor unseren Augen liegt; aber wir können es nicht verstehen, wenn wir nicht zuerst die Sprache und die Zeichen lernen, in denen es geschrieben ist. Diese Sprache ist Mathematik, und die Zeichen sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren, ohne die es dem Menschen unmöglich ist, ein einziges Wort davon zu verstehen; ohne diese irrt man in einem dunklen Labyrinth herum.". Und im 20. Jahrhundert hat der Quantenphysiker Eugene Wigner sogar gesagt: "Die enorme Nützlichkeit der Mathematik für die Naturwissenschaften ist etwas, das an ein Geheimnis grenzt und für das es keine vernünftige Erklärung gibt. Es ist ganz und gar nicht natürlich, dass 'Gesetze der Natur' existieren, und noch weniger, das der Mensch in der Lage ist, sie zu erkennen."

Und damit hat Wigner auch irgendwie recht. Es ist höchst erstaunlich, dass die Mathematik so gut darin ist, das zu beschreiben, was da draußen im Universum passiert. Und nicht nur das: Mit der mathematischen Beschreibung der Welt können wir sogar Vorhersagen treffen und Dinge entdecken, von denen wir vorher nichts wussten. Als Albert Einstein zum Beispiel die mathematische Beschreibung seiner allgemeinen Relativitätstheorie entwickelt hat, hat er noch nichts von schwarzen Löchern gewusst. Aber wenn man seine Gleichungen auf eine bestimmte Weise löst, dann bekommt man als Ergebnis die mathematischen Gleichungen, die ein Objekt beschreiben, das sich wie ein schwarzes Loch verhält. Einstein hat das interessant gefunden, aber nicht als real angesehen. Sondern halt einfach nur als etwas, das mathematisch in den Gleichungen steckt, deswegen aber noch lange nicht im echten Universum existieren muss. Erst später hat man dann tatsächlich echte schwarze Löcher da draußen im Kosmos entdeckt.

Wir wissen also seit langem, dass die Mathematik enorm effektiv ist, um das Universum zu beschreiben und zu verstehen. Wir wissen aber immer noch nicht, warum das so ist. Eine sehr radikale Antwort auf diese letzte Frage könnte lauten: Das Universum ist deswegen so gut mathematisch beschreibar, weil es in Wahrheit Mathematik IST. Das klingt komisch und unverständlich. Und es wird leider auch bei näherer Betrachtung nicht weniger komisch und unverständlich. Dass unser Universum quasi aus Mathematik besteht ist die Kernaussage der Theorie des Mathematischen Universums, die der schwedisch-amerikanische Kosmologie Max Tegmark im Jahr 2008 entwickelt hat.

Tegmark behauptet darin, dass die Mathematik nicht nur ein Modell ist, um Dinge und Phänomene in der Welt zu beschreiben. Sondern die Dinge und Phänomene, inklusive des Univerums, SIND mathematische Strukturen. Oder etwas anders gesagt: Mathematische Konstrukte sind keine abstrakten Beschreibungen, sondern existieren tatsächlich, unabhängig von uns Menschen. Vereinfacht gesagt: Ein Kreis ist nicht einfach nur ein mathematisches Objekt, definiert als Menge aller Punkte in einer Ebene, die alle exakt den selben Abstand von einem Mittelpunkt haben. Sondern ein Kreis IST EIN KREIS und existiert, egal ob wir da sind, um zu definieren was ein Kreis ist oder nicht. Laut Tegmark ist das Universum nichts, was durch Mathematik beschrieben werden kann, sondern ist selbst eine mathematische Struktur. Wenn etwas mathematisch existiert, also konfliktfrei und logisch konsistent mathematisch beschrieben werden kann, dann existiert es auch in echt. Mathematische Existenz ist gleich physikalische Existenz.

Wie soll man sich das vorstellen? Am besten gar nicht… Aber laut Tegmark ist es auch nicht so einfach, sich das vorzustellen, weil wir ja mitten drin sind und selbst auch nur mathematische Strukturen. Unser Universum ist eine so komplexe mathematische Struktur, dass es "selbstbewusste Unterstrukturen" enthält, die sich selbst so wahrnehmen, als würden sie in einer echten, physikalischen Welt leben.

Das klingt alles ziemlich verrückt. Meiner persönlichen Meinung nach ist es auch ziemlich verrückt. Aber in der Wissenschaftsphilosophie und Kosmologie gibt es diverse Leute, die Tegmarks Thesen ernsthaft diskutieren. Tegmark behauptet, dass sein mathematisches Universum jede Menge Probleme lösen kann und nicht nur erklärt, warum Mathematik so gut darin ist, das Universum zu beschreiben. Wir müssen uns dann auch nicht mehr fragen, warum das Universum so ist, wie es ist. Ich habe ja schon in Folge 423 über die Feinabstimmung des Universums gesprochen, also über die Frage, warum das Universum so aussieht, wie es aussieht und warum es so aussieht, als wäre das alles grad irgendwie passend für uns Menschen. Das ist in Tegmarks Universum keine sinnvolle Frage mehr, denn das mathematische Universum ist auch ein Multiversum. Weil alles existiert, was mathematisch existiert, existieren natürlich unzählige unterschiedliche mathematische Strukturen mit allen möglichen Eigenschaften und unser Universum ist nur eine davon und halt gerade die, die sie ist.

Ich bleibe immer noch dabei, dass das alles sehr verrückt ist. Denn auch wenn es natürlich spannend ist, auf diese Weise über das Universum nachzudenken, liefert es auf viele Fragen keine Antworten. Zum Beispiel die Frage nach dem Ursprung. Mathematische Strukturen sind zeitlos; es macht zum Beispiel keinen Sinn zu fragen, wann die Zahl Pi entstanden ist oder wann es das erste Dreieck gegeben hat. Mathematische Strukturen haben keinen Anfang und kein Ende und das gilt dann in Tegmarks Theorie logischerweise auch für das Universum selbst. Das Universum existiert, weil es mathematisch möglich ist, dass es existiert. Das kann man für eine befriedigende Antwort halten, aber man muss es nicht tun…

Und sieht man einmal davon ab, dass Tegmarks Theorie das Konzept von "Existenz" nicht klar beschreibt und genau so wenig Antworten auf die Fragen nach dem Ursprung liefert, wie andere Theorien, haben wir auch mit der Zeit ein Problem. Wenn das ganze Universum und wir auch nur mathematische Strukturen sind, also einfach nur eine Sammlung von mathematischen Objekten und Gesetzen, wieso erleben wir dann Zeit und Veränderung? Und wenn die ganze Sache mit dem mathematischen Universum mehr sein soll, als nur ein mehr oder weniger sinnvolles Gedankenspiel, dann muss die Theorie auch irgendwie überprüft oder falsifiziert werden können.

Tegmark behauptet, dass das möglich ist. Wir könnten uns zum Beispiel Naturkonstanten wie die Feinstrukturkonstante anschauen. Die gibt, vereinfacht gesagt, an, wie stark die elektromagnetische Kraft ist und damit auch, welche Arten von Teilchen und Atomen existieren können, wie sie wechselwirken, und so weiter. Wenn sie nicht den Wert hätte, den sie hat, dann gäbe es keine stabile Materie und keine Sterne, keine Planeten, keine Menschen, und so weiter. Tegmark sagt jetzt, dass wir nur alle möglichen mathematischen Strukturen anschauen müssen, also quasi alle Universen in diesem mathematischen Multiversum. Und dann schauen, welchen Wert die Feinstrukturkonstante jeweils dort hat. Wenn es das mathematische Multiversum tatsächlich gibt, dann ist es wahrscheinlich, dass wir in einem typischen Universum leben und nicht in einem enorm speziellen - "unser" Wert der Feinstrukturkonstante sollte also nicht zu weit von dem der anderen Universum abweichen. Ok. Abgesehen davon, dass es alles andere als einfach ist, mal eben die Naturkonstanten aller mathematisch möglichen Universen zu berechnen, kann man auch anderer Ansicht sein, was die Wahrscheinlichkeiten angeht. Warum sollen wir nicht in einem untypischen Universum leben? Aber das ist halt Philosophie… ich will definitiv nicht behaupten, dass das alles Quatsch ist. Philosophie ist durchaus ein wichtiger Weg, die Welt zu betrachten und zu verstehen. Aber in diesem Fall braucht es mehr als nur ein paar interessante Ideen.

Das mathematische Universum erscheint genau dann als sinnvolle Idee zur Beschreibung des Universums, wenn man es als sinnvolle Idee zur Beschreibung des Universums betrachten will. Ist das nicht der Fall, dann ist es nicht mehr als einfach nur eine Idee.

Die Mathematik ist zuallererst einmal sich selbst genug. Sie muss die reale Welt nicht beschreiben, aber sie tut es in vielen Fällen. Tegmark hat die Sache mit dem mathematischen Universum natürlich noch sehr viel ausführlicher beschrieben, als ich das in dieser Folge dargestellt habe; er hat sogar ein ganzes Buch darüber geschrieben. Aber das ändert nichts daran, dass wir die Sache nicht überprüfen können und dass sie genaugenommen nicht überprüfbar IST. Man kann gerne daran glauben, dass alles Mathematik ist, aber das muss man eben glauben. Und wenn man etwas glauben muss, kann es kein Wissen sein.

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