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Sternengeschichten Folge 638: Geminga, der Pulsar voller Rätsel

Shownotes

Sternengeschichten Folge 638: Geminga, der Pulsar voller Rätsel

Vor der Küste von Kenia befindet sich die so gar nicht kenianisch klingende San-Marco-Plattform. Dort, in der Nähe des Äquators hat die italienische Raumfahrtagentur im Jahr 1964 einen Raketenstartplatz gebaut und von dort am 15. November 1972 im Auftrag der NASA einen kleinen Satelliten ins All geschickt. Der Name des kleinen Satelliten war dann auch SAS-2, was für "Small Astronomy Satellite 2" steht. Und er war wirklich klein: Er hatte nur einen Durchmesser von knapp 60 Zentimetern, ein Gewicht von 186 Kilogramm und nur ein einziges Messinstrument an Bord, mit dem man hochenergetische Gammastrahlung nachweisen kann. Aber das war ausreichend, um damit unter anderem einen Himmelskörper zu entdecken, von dem man lange Zeit nicht einmal wusste, ob er wirklich da ist und den wir selbst heute nicht vollständig verstehen.

Fangen wir mit der Gammastrahlung an. Das ist ganz normale elektromagnetische Strahlung, genau wie das normale Licht, das wir mit unseren Augen sehen können. Nur dass die Gammastrahlung sehr viel mehr Energie hat und deswegen eine sehr viel kleinere Wellenlänge. Unsere Augen können sie nicht sehen, aber mit entsprechenden Messinstrumenten können wir sie nachweisen. Auf der Erde kennen wir die Gammastrahlung als den sehr gefährlichen, hochenergetischen Anteil der radioaktiven Strahlung. Aber man hat schon den 1940er Jahren vermutet, dass es Gammastrahlung auch im Weltall geben könnte. Nicht, weil da irgendwer Atombomben zündet oder marode Kernkraftwerke betreibt. Sondern weil es auch diverse natürliche, astronomische Prozesse gibt, bei denen Gammastrahlung frei wird. Sehr starke Supernova-Explosionen zum Beispiel oder sehr heißes, sich sehr schnell bewegendes Gas. Gammastrahlung wird auch frei, wenn Materie extrem schnell um ein schwarzes Loch wirbelt, und so weiter. Das Problem ist allerdings: Die Erdatmosphäre lässt die Gammastrahlung aus dem Weltall nicht durch. Ok, das ist nur ein Problem für die Astronomie, für uns Menschen ist das allgemein ziemlich gut, denn diese Strahlung ist gefährlich für uns. Für die Forschung hat das aber bedeutet, dass man erst dann nachsehen konnte, ob da wirklich Gammastrahlung im Weltall ist, als man in der Lage war, Raketen mit Messinstrumenten in den Weltraum zu schicken.

Das hat man ab 1961 gemacht und SAS-2 war dann der erste Satellit, dessen Aufgabe es war, eine umfangreiche Karte des ganzen Himmels im Gammalicht zu erstellen. Das Resultat: Man konnte tatsächlich jede Menge Gammastrahlungsquellen finden. Die meisten davon waren bekannt, zumindest insofern als man in der Richtung aus der die Strahlung kam, mit anderen Instrumenten Objekte sehen konnte, von denen man gewusst hat, dass sie Gammastrahlung produzieren. Das schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße zum Beispiel, oder die Überreste von Supernovaexplosionen. Aber, und deswegen forscht man ja, man hat auch Gammastrahlungsquellen gefunden, die unbekannt waren. Auch die hat man im Laufe der Zeit identifizieren können, mit vorerst einer Ausnahme. Aus Richtung des Sternbilds Zwilling kam Gammastrahlung die man nicht zuordnen konnte. Die Auflösung von SAS-2 war aber auch nicht sehr gut, das heißt man konnte auch nicht exakt sagen, wo die Strahlung her kam. Aber normalerweise nutzt man in solchen Fällen andere Instrumente um mehr Informationen zu kriegen. Man kann zum Beispiel mit Radioteleskopen schauen, ob aus der Gegend Radiostrahlung kommt. Denn bei den meisten Prozessen, die Gammastrahlung freisetzen wird auch Radiostrahlung frei. In der fraglichen Region im Sternbild Zwillinge hat man ein paar Supernova-Überreste gefunden, also heißes Gas das sich schnell bewegt. Man hat in der Richtung eine andere Galaxie entdeckt und ein paar andere Radioquellen. Aber keine davon hat wirklich überzeugend gepasst.

Was auch noch in Frage kommen würde, wäre ein Pulsar. Was das ist, habe ich in vergangenen Folgen auch schon erklärt: Wenn ein großer Stern am Ende seines Lebens bei einer Supernova-Explosion aufhört zu existieren, bleibt der extrem verdichtete Kern übrig. Der ist nur ein paar Dutzend Kilometer groß, hat aber immer noch so viel Masse wie die Sonne. So etwas nennt man Neutronenstern und die Dinger rotieren extrem schnell - ein paar tausend Mal pro Sekunde um ihre Achse und haben auch extrem starke Magnetfelder. Dabei entstehen auch elektrische Felder, die Teilchen aus der Umgebung des Neutronensterns sehr schnell beschleunigen können und solche stark beschleunigten Teilchen können Gammastrahlung aussenden. So ein Neutronenstern erzeugt aber auch Radiostrahlung und die können wir beobachten. Weil die Strahlung nicht gleichmäßig in alle Richtungen abgegeben wird, sondern nur durch einen schmalen Kegel entlang der Rotationsachse, kann so ein Neutronenstern wie ein Leuchtturm funktionieren. Wenn der Strahlungskegel durch die Rotation regelmäßig über die Erde streicht, sehen wir quasi ein "Blinken" im Radiolicht, das extrem regelmäßig ist. So etwas nennt man Pulsar und man hat vermutet, dass die ominöse Gammastrahlungsquelle im Sternbild Zwilling genau so ein Pulsar ist.

Nur: Egal wie sehr man gesucht hat, man hat nirgendwo passende Radiostrahlung gefunden. Auch der 1975 gestartete Gammastrahlungssatellit Cos-B der Europäischen Weltraumorganisation hat das Rätsel nicht lösen können. Deswegen hat er auch die Bezeichnung "Geminga" bekommen. Das steht einerseits sehr prosaisch für "Gemini Gamma-Ray Source", als Gammastrahlungsquelle im Zwilling. Andererseits bedeutet "gh'è minga" im lombardischen Dialekt der rund um Mailand gesprochen wird auch so viel wie "ist nicht da", was Giovanni Bignami, dem italienischen Astronomen und Entdecker der Gammastrahlungsquelle, sehr passend vorgekommen ist.

Erst 1991 konnte man mit dem Röntgensatellit ROSAT zeigen, dass dort, wo Geminga sein sollte tatsächlich etwas ist. Und zwar tatsächlich ein Pulsar, der zwar Gammastrahlung und auch Röntgenstrahlung abgibt. Aber überraschenderweise so gut wie keine Radiostrahlung. Geminga ist eines der wenigen bekannten Beispiele für einen "radioleisen" Pulsar.

Und bevor wir uns anschauen, was das ist, fasse ich noch einmal den aktuellen Stand des Wissens zusammen. Geminga ist ein Pulsar, also ein schnell rotierender Neutronenstern, der Überrest eines ehemals großen Sterns. Er befindet sich nur gut 800 Lichtjahre von der Erde entfernt und ist damit der uns am nächsten gelegene Pulsar den wir kennen. Oder der zweitnächste nach dem Vela-Pulsar; da sind die Entfernungsmessungen noch nicht exakt genug. Allein das würde das Objekt schon sehr spannend für die Wissenschaft machen. Dass Geminga noch dazu so seltsam ist, ist ein extra Bonus.

Die erste Seltsamkeit ist, wie vorhin erwähnt, die Tatsache, dass er radioleise ist. Ein möglicher Grund dafür ist natürlich zuerst der offensichtliche: Der Strahlungskegel seiner Radiostrahlung überstreicht die Erde nicht, deswegen sehen wir mit den Radioteleskopen auch nichts. Es kann aber auch an seinem Alter liegen: Geminga ist vor circa 300.000 Jahren bei einer Supernova-Explosion entstanden. Es könnte sein, dass die Prozesse, die bei einem Pulsar die Radiostrahlung erzeugen im Laufe der Zeit weniger effizient werden. Das heißt: Je älter der Pulsar, desto größer wird der Gammastrahlungsanteil an seiner gesamten Strahlung. Und das, was die Strahlung produziert, sind ja die diversen, komplexen Wechselwirkungen zwischen dem Magnetfeld des Pulsars und den Teilchen in seiner unmittelbaren Umgebung. Das muss nicht bei jedem Pulsar gleich ablaufen, vielleicht ist bei Geminga irgendwas anders? Zusammengefasst: Geminga ist ein Pulsar voller Rätsel und wenn wir es schaffen, diese Rätsel zu lösen, dann haben wir damit auch gleich ein paar ganz andere Rätsel über das allgemeine Verhalten so seltsamer Objekte wie Neutronensterne gelöst.

Deswegen schauen wir auch immer wieder hin und unsere Teleskope werden immer besser. Das im Jahr 2008 gestartete Fermi-Weltraum-Gammastrahlungsteleskop der NASA hat das natürlich auch getan und 2019 eine regelrechte, ausgedehnte Hülle aus Gammastrahlung um Geminga herum entdeckt. Könnten wir das mit unseren Augen sehen, dann würde Geminga am Himmel 40 mal größer als der Vollmond erscheinen. Das liegt - vereinfacht gesagt - daran, dass Geminga mit seiner Gammastrahlung das Sternenlicht in seiner Umgebung beeinflusst. Wie ich vorhin erklärt habe, entsteht die Gammastrahlung durch die Teilchen, die vom Magnetfeld des Pulsars beschleunigt werden. Diese Teilchen sind unter anderem Elektronen, die aus der Oberfläche des Neutronensterns gerissen werden. Sie werden auf fast Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, entfernen sich von Geminga und treffen dort auf das normale Sternenlicht, also auf normale Lichtteilchen, die von den Sternen in der Umgebung stammen. Wenn die schnellen Elektronen und das Licht miteinander wechselwirken, dann entsteht ebenfalls Gammastrahlung.

Geminga hat uns aber auch Hinweise darauf gegegen, wieso manche Pulsare Planeten haben. Wir kennen nicht viele solcher Objekte, aber ein paar und was wir da wissen, habe ich in Folge 355 ausführlich erzählt. Denn ein Pulsar ist ja ein toter Stern, der Rest einer gewaltigen Supernova. Wenn da früher mal Planeten waren, sollten die danach weg sein. Was auch so ist, aber unter Umständen können aus den Trümmern der Explosion neue Planeten entstehen. Geminga zeigt uns, wie das gehen könnte. Der Pulsar bewegt sich nämlich sehr schnell, viel schneller als Sterne das üblicherweise tun. Er pflügt regelrecht durch das interstellare Gas, also das bisschen an Materie, das sich zwischen den Sternen befindet. Er erzeugt dabei eine Art Bugwelle, wie es auch Schiff tut, das schnell durchs Wasser fährt. In der Bugwelle kann Gas und Staub quasi aufgesammelt werden und ein bisschen was davon könnte in die Nähe des Pulsars gelangen und wenn sich im Laufe der Zeit genug davon angesammelt hat, können daraus Planeten entstehen. Man hat mit entsprechenden Beobachtungen bei Geminga zwar noch keine Planeten gefunden, aber dafür jede Menge Staub und Gas.

Es ist viel Zeit vergangen, seit wir Geminga entdeckt haben. Aber es wird noch sehr viel mehr Zeit vergehen, bis wir dieses faszinierende Objekt wirklich verstanden haben.

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