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Sternengeschichten Folge 586: Das Lokale Loch

Shownotes

Sternengeschichten Folge 586: Das Lokale Loch

Wir leben in einem Loch. Gut, das ist missverständlich. Wir leben natürlich auf der Erde und nicht in einem Loch. Aber wenn man sich das Universum auf einem ganz großen Maßstab ansieht, dann leben wir einem Loch. Und um zu verstehen, was das genau bedeutet, muss man natürlich ein bisschen mehr erklären.

Ich habe in den Sternengeschichten schon oft von der großräumigen Struktur des Universums erzählt. Und "groß" meint hier wirklich groß. Es geht nicht um Galaxien, nichtmal um Galaxienhaufen. Es geht um galaktische Superhaufen, also Ansammlungen von Galaxienhaufen, die selbst wieder aus zehn- bis hunderttausenden Galaxien bestehen können. Diese Haufen, aus Haufen bilden noch größere Strukturen und zwischen den Strukturen ist nichts. Wenn man das gesamte Universum von außen betrachten würde, sich eine Region aussucht, die ein paar Milliarden Lichtjahre im Durchmesser hat und dann die Menge an Materie in dieser Region bestimmt, würde man einen gewissen Wert kriegen. Wenn ich mir eine andere Region mit ein paar Milliarden Lichtjahren Durchmesser nehme und die gleichen Messungen dort mache, werde ich fast den selben Wert kriegen.

Das bedeutet, dass unser Universum homogen ist: Es gibt keine Ecke, wo sich die ganze Materie drängt und eine andere, wo alles komplett leer ist. Aber das gilt eben nur für die ganze großen Skalen. Wenn man den Fokus ein wenig enger fasst, dann findet man sehr wohl Bereiche im Universum wo mehr Materie ist und Bereiche mit weniger. Und wir leben in einer der Gegenden, wo weniger ist als anderswo.

Wir wissen schon länger, dass es Filamente und Voids gibt, also die größten Strukturen aus Galaxien-Superhaufen und die gigantischen Leerräume dazwischen; ich habe in Folge 63 mal darüber gesprochen. Aber wenn man deren Verteilung sehr genau misst, dann sieht man, dass es Bereiche gibt, in denen unterdurchschnittlich viel Materie ist. Und als Ryan Keenan von der Uni Taiwan, Amy Barger und Lenox Cowie von der Uni Hawaii im Jahr 2013 so eine Untersuchung angestellt haben, haben sie herausgefunden, dass die lokale Galaxienverteilung ein wenig dünn ist. Oder besser gesagt: Sie haben festgestellt, dass wir uns mitten in einer großen Leere befinden.

Gut, "Leere" mag übertrieben klingen. Immerhin ist die Milchstraße Teil dieser Leere und die ist ja nicht nichts. Und nicht nur die Milchstraße: Die gesamte Lokale Gruppe sitzt in dieser Leere, also die Galaxiengruppe, zu der neben der Milchstraße und der Andromedagalaxie auch noch über 100 andere Galaxien gehören. Außerdem ist auch der Laniakea-Superhaufen mit dabei in der Leere, der immerhin aus gut 100.000 Galaxien besteht; inklusive des Virgo-Superhaufens der die Lokale Gruppe mit der Milchstraße enthält.

Man kann also nicht sagen, dass in dieser Leere nichts ist. Unser ganzes lokales Universum ist in dieser Leere, aber wenn man unser lokales Universum mit dem vergleicht, was anderswo zu finden ist, dann gibt es bei uns weniger. Die Milchstraße sitzt fast in der Mitte dieser unterdurchschnittlich bestückten Region die einen Durchmesser von circa einer Milliarde Lichtjahren hat. Und die übrigens wahlweise als "Local Hole", als das "Lokale Loch" bezeichnet wird oder als KBC-Void, oder KBC-Leere, nach den Anfangsbuchstaben der Nachnamen von Keenan, Barger und Cowie.

Ok, jetzt kann man sich fragen, was das bedeuten soll. Dann gibt es halt im Universum Bereiche mit mehr Zeug und Bereiche mit weniger Zeug. Und wir sind halt zufällig gerade da, wo weniger ist. Es mag fürs Selbstbewusstsein der menschlichen Spezies vielleicht ein Rückschlag sein, dass wir in nem kosmischen Loch wohnen und nicht da, wo die Post abgeht. Aber wenn es so, ist dann ist es halt so. Und das mag alles so sein - aber die Tatsache, dass wir im lokalen Loch leben, hat durchaus Konsequenzen. Keine natürlich, die unseren Alltag betreffen. Da ist das wirklich komplett egal. Wenn unser Alltag aber daraus bestehen sollte, das Universum zu verstehen, ist die Sache mit dem Lokalen Loch wirklich wichtig.

Wir wissen, dass das Universum expandiert. Darüber habe ich ja schon oft genug geredet. Wir können auch messen, wie schnell es das tut. Wir wissen, dass es in der Vergangenheit langsamer expandiert hat als in der Gegenwart; dieses Phänomen nennen wir die "Dunkle Energie". Aber darum soll es heute nicht gehen. Wir wollen nur wissen, wie schnell das Universum jetzt expandiert und mit "jetzt" ist alles plus minus ein paar hundert Millionen Jahre gemeint. Diese Expansionsrate wird mit dem "Hubble-Parameter" beschrieben und man kann ihn auf unterschiedliche Weise messen. Man kann direkt die Geschwindigkeit und die Entfernung von fernen Galaxien beobachten und daraus die Expansionsrate berechnen. Man kann aber auch indirekt die Entwicklung des Universums beobachten und aus seinem früheren Zustand berechnen, wie es in der Gegenwart aussehen muss. Der erste Fall ist ziemlich klar; beim zweiten Fall brauchen wir zusätzlich zu den Beobachtungsdaten noch ein gutes theoretisches Modell davon, wie das Universum sich verhält. Sowas haben wir, das nennt sich das Lambda-CDM-Modell, landläufig als "Urknalltheorie" bekannt und ich habe in Folge 578 ausführlich davon erzählt. Wir können dann Beobachtungsdaten aus dem frühen Universum nehmen, zum Beispiel von der kosmischen Hintergrundstrahlung und mit dem Urknallmodell daraus berechnen, wie schnell das Universum heute expandieren sollte. Wenn unsere Beobachtungsdaten gut und die Theorie richtig ist, dann sollten wir in beiden Fällen zum selben Ergebnisse kommen. Tun wir auch, aber nur fast. Die Ergebnisse unterscheiden sich nur leicht, aber doch stark genug, dass sie durch Beobachtungsfehler alleine nicht zu erklären sind; der Unterschied wird sogar größer, je besser unsere Beobachtungsdaten sind.

Daraus kann man natürlich folgern: Ok, dann ist was mit der Urknalltheorie nicht so wie es sein soll! Und das ist ein vernünftiger Ansatz; wir wissen, dass es da noch einiges an Problemen zu lösen gibt. Wir wissen aber auch, dass das Lambda-CDM-Modell in sehr vielen anderen Fällen unsere Beobachtungen sehr gut beschreibt; man sollte und kann es also nicht ohne Not komplett aus dem Fenster werfen. Aber vielleicht hilft uns das lokale Loch!

Schauen wir uns mal eine Region des Universums an, in der überdurchschnittlich viele Galaxien sind. Die ziehen sich natürlich alle gegenseitig an und diese Anziehungskraft wirkt der Expansion des Universums entgegen. In einer Region mit überdurchschnittlich viel Materie sollte die Expansionsrate also geringer erscheinen, weil sie durch die Anziehungskraft der vielen Galaxien gebremst wird. Zumindest im Vergleich zu der Rate, die ich messe, wenn ich mir das Universum auf sehr viel größeren Skalen anschaue. Und wenn man in einer Gegend mit unterdurchschnittlich viel Materie lebe, ist es genau umgekehrt. Da sind weniger Galaxien, sie ziehen sich nicht so stark an und wir würden eine Expansionsrate messen, die größer erscheint als die, die ich messen würde, wenn ich das Universum auf größeren Skalen betrachte. Und genau das ist es, was wir sehen. Mit der Beobachtung der Galaxien in unserer Umgebung messen wir die Expansionsrate eben in unserer Umgebung. Wenn wir die Daten aus der kosmischen Hintergrundstrahlung benutzen, also Daten die aus der Frühzeit des Universums stammen, dann nehmen wir Daten, die das Universum auf einem sehr viel größeren Maßstab beschreiben. Und mit diesen Daten kriegen wir einen kleineren Wert für die Expansionsrate als mit den lokalen Daten.

Man hat das auch nachgerechnet: Wenn wir berücksichtigen, dass wir in einem lokalen Loch leben, dann könnte sich das Problem mit dem Unterschied beim Hubble-Parameter in Luft auflösen. Beziehungsweise könnte es im lokalen Loch verschwinden. Wir kriegen nur deswegen unterschiedliche Werte, weil wir halt gerade in einem Loch leben und die Messergebnisse von dort nicht repräsentativ für das ganze Universum sind. Ob das wirklich schon die letztgültige Antwort ist, muss sich zeigen. Aber wenn es so ist, dann sollten wir uns auch nicht mehr darüber ärgern, dass wir nur unterm Durchschnitt sind.

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