Mastodon

Sternengeschichten Folge 582: Der kalte Fleck im Universum

Shownotes

Sternengeschichten Folge 582: Der kalte Fleck im Universum

In dieser Folge wird es kalt! Es geht um den kalten Fleck im Universum. Oder besser gesagt: Einen ganz besonderen kalten Fleck im Universum. Sieht man mal von solchen Ausnahmen wie Sternen oder Planeten ab, ist das Universum eigentlich überall enorm kalt. Aber es gibt einen Fleck, der kälter ist, als er sein sollte und den schauen wir uns heute ein wenig genauer an.

Bis wir aber so weit sind, ihn uns genauer ansehen zu können, müssen wir aber ein wenig Kosmologie hinter uns bringen. Wir müssen tatsächlich fast beim Urknall beginnen, uns mit dunkler Materie und dunkler Energie beschäftigen und sowohl den kleinsten als auch den größten Strukturen im Universum. Also fangen wir besser gleich damit an.

Der kalte Fleck befindet sich im Sternbild Eridanus. Von Europa aus ist das nicht zu sehen; da muss man schon bis nach Nordafrika oder den nahen Osten reisen oder noch weiter nach Süden. Aber das spielt auch keine Rolle, denn vom kalten Fleck ist mit freiem Auge sowieso nichts zu sehen. Auch nicht mit einem Teleskop, zumindest nicht mit einem normalen Teleskop. Man braucht ein Weltraumteleskop und ein sehr spezielles noch dazu. Der kalte Fleck zeigt sich nur den in den Bildern, die wir von der kosmischen Hintergrundstrahlung gemacht haben. Die war das Thema in Folge 316, deswegen fasse ich das nur kurz zusammen. Im frühen Universum - und wir werden uns dieses frühe Universum später noch genauer ansehen, war alles noch sehr heiß und sehr dicht aneinander gedrängt. Es war so heiß, dass es noch keine Materie im heutigen Sinn gab, es gab nicht einmal fertige Atome. Es gab nur Atomkerne und freie Elektronen, die normalerweise die Hülle von Atomen bilden. Damals aber noch nicht bilden konnten, weil es so heiß war. Alles hat sich dadurch so schnell bewegt, dass die Elektronen sich nicht an die Atomkerne binden konnten. Und weil das Universum so voll mit freien Elektronen war, konnte sich auch das Licht nicht ungehindert ausbreiten. Es ist von den Elektronen abgelenkt worden, hin und her gesaust und kam nicht vorwärts. Der junge Kosmos war also eine undurchsichtige Suppe aus Materie und Energie. Erst circa 380.000 Jahre nach dem Urknall war alles so weit abgekühlt, dass die Elektronen sich an die Atome binden konnten. Jetzt war der Weg frei für das Licht. Die Lichtteilchen sind von allen Orten des Universums in alle Richtungen davon gesaust. Gleichzeitig hat das Universum sich aber natürlich weiter ausgedehnt. Das erste Licht ist aber zum Teil immer noch unterwegs. Die Lichtteilchen, die damals dort waren, wo wir heute sind, sind natürlich schon längst weg. Aber dafür kommt Licht von anderen Orten des Universums zu uns. Weil dieses Licht eben damals überall war, kommt es auch heute noch aus jeder Richtung am Himmel auf die Erde. Was nicht heißt, dass die Erde ein besonderer Ort ist; würden wir irgendwo anders im Universum sein, wäre es genau so.

Fassen wir mal kurz zusammen: 380.000 Jahre nach dem Urknall hat sich das Universum so weit abgekühlt, dass das Licht sich darin ausbreiten konnte. Ein Teil dieses ersten Lichts ist immer noch unterwegs und bildet deswegen eine "Hintergrundstrahlung", die von jedem Punkt des Himmels aus in Richtung Erde strahlt. In der Zeit seit damals hat sich das Universum aber auch ausgedehnt und dabei hat dieses Licht immer mehr Energie verloren. Damals war es kurzwellig, heiß, hell und voller Energie. Heute ist die Hintergrundstrahlung kalt geworden, ihre Temperatur liegt bei circa 2,7 Kelvin; also bei -270 Grad Celsius. Das entspricht Strahlung im Mikrowellenbereich und man braucht ein entsprechendes Teleskop, dass so etwas messen kann.

Erstmal nachgewiesen hat man die kosmische Hintergrundstrahlung in den 1960er Jahren, damals noch mit Radioteleskopen von der Erde aus. Für unsere Geschichte ist aber ein anderer Aspekt sehr wichtig: Die Hintergrundstrahlung muss zwar überall gleich sein, aber nicht ganz gleich. Es muss winzige Variationen geben. Das im Detail zu erklären, würde eine Folge benötigen, die circa 10 mal so lang ist, aber ich probiere, es kurz zu halten.

Unser Universum ist voller Strukturen. Es gibt Gegenden, die sind voller Galaxien. Und Gegenden, die komplett leer sind. Auf ganz großen Skalen betrachtet, sieht es zwar mehr oder weniger überall gleich aus. Aber die Materie ist eben nicht komplett gleichmäßig verteilt. Das muss einen Grund haben, den wir gehen eigentlich davon aus, dass die Materie nach dem Urknall tatsächlich gleichmäßig verteilt war. Es gab keine Ecke des Kosmos, wo der Urknall einen großen Haufen Zeug hin entstehen hat lassen und eine andere, die er übersehen hat. So ist das nicht gelaufen. Wie es gelaufen ist, stellen wir uns circa so vor: Das gerade entstandene Universum war voller Energie, die dafür gesorgt hat, dass der Raum sich ausdehnt, und zwar absurd schnell. Das ist die Phase der kosmischen Inflation, über die ich in Folge 573 schon gesprochen habe. Nach dieser Phase, in der sich das Universum in unvorstellbar kurzer Zeit unvorstellbar weit ausgedehnt hat, hat die Inflation geendet und dabei ist die Energie, die die Inflation angetrieben hat, in Materie umgewandelt worden. Wir haben jetzt also ein Universum, immer noch winzig, aber unvorstellbar und vor allem komplett gleichmäßig dicht gefüllt mit heißer Materie.

Wie gesagt, das war eine sehr, sehr vereinfachte Version der Geschichte. Und wenn das schon alles wäre, dann müsste das Universum heute ganz anders aussehen. Wenn die Materie komplett gleichmäßig verteilt gewesen wäre, dann würde es keinen Grund geben, warum sich daran etwas ändern sollte. Die Gravitationskraft wäre an jedem Punkt des Universums genau gleich stark. Weil überall gleich viel Materie ist, würde jeder Punkt des Universums genau so viel Gravitationskraft ausüben wie jeder andere Punkt. Es gäbe ein Gleichgewicht und nichts ändert sich. Das Universum würde expandieren und abkühlen, aber es gäbe keinen Grund, warum die Materie sich zusammenballen und so etwas wie Sterne oder Galaxien bilden sollte. Die haben sich aber gebildet. Und das liegt an der Quantenmechanik. Der Prozess, bei dem das Universum sich durch die Inflation ausgedehnt hat und bei dem die Materie entstanden ist, ist ein quantenmechanischer Prozess und - wieder ohne in die Details zu gehen - bei der Quantenmechanik gibt es immer winzige Flukuationen. Diese mikroskopischen Quantenvariationen sind durch die Inflation dann quasi aufgeblasen worden und die Materie im jungen Universum war eben nicht exakt gleich verteilt. Es gab Bereiche mit mehr und Bereiche mit weniger Materie; der Unterschied war gerade groß genug, dass die Strukturen entstehen konnten, die wir heute sehen.

Wenn die Materie damals aber nicht komplett gleich verteilt war, dann muss auch die Temperatur der Hintergrundstrahlung leicht unterschiedlich sein. Das liegt an etwas, das man den Sachs-Wolfe-Effekt nennt, und den müssen wir uns jetzt auch noch anschauen. Nach der Quantenmechanik kriegen wir es jetzt mit der Relativitätstheorie zu tun. Wieder in der extremen Kurzversion: Wir wissen, dass Masse den Raum krümmt und das hat Einfluss auf Licht, dass sich durch den gekrümmten Raum bewegt. Es gibt eine gravitative Rotverschiebung: Vereinfacht gesagt: Licht, dass sich durch einen stark gekrümmten Raum bewegen muss, verliert dabei ein wenig Energie und erscheint röter. Und weil das erste Licht, weil die kosmische Hintergrundstrahlung sich eben durch die nicht ganz gleichmäßig verteilte Materie bewegen musste, hat es dabei auch mal mehr und mal weniger Energie durch die gravitative Rotverschiebung verloren und damit auch eine leicht unterschiedliche Temperatur. Die Unterschiede sind winzig, es geht hier um Variationen von 1/30.000 Grad. Aber sie müssen da sein und wir haben sie gemessen. Das erste Mal 1992 mit dem COBE-Satelliten und dann immer genauer mit den Weltraumteleskopen WMAP und Planck. Wir wissen - wieder aus diversen quantenmechanischen Gründen - dass die Variationen der Temperatur in der kosmischen Hintergrundstrahlung nicht beliebig ausfallen können. Sie müssen bestimmten mathematischen und statistischen Mustern folgen und nach allem was wir bis jetzt gemessen haben, tun sie das auch.

Nur in einer Region des Himmels, im Sternbild Eridanus, da ist das nicht der Fall. Genau das ist der Kalte Fleck, der 2004 in den Daten des WMAP-Satelliten entdeckt und später durch die Beobachtungen des Planck-Weltraumteleskops bestätigt worden ist. Die Hintergrundstrahlung die aus dieser Richtung kommt, ist kälter als sie sein sollte und sie ist es auf eine Art, die nicht zu den quantenmechanischen Fluktuationen passt, die man erwarten würde.

Seit damals hat man durch mehr oder weniger spektakuläre Erklärungen probiert, die Existenz des kalten Flecks zu erklären. Zu den spektakulären Erklärungen gehört die Hypothese, dass der kalte Fleck quasi der Abdruck eines anderen Universums ist, das mit unserem verbunden war, bevor die beiden durch die rapide Expansion bei der kosmischen Inflation getrennt worden sind. Etwas weniger spektakulär, aber deutlich realistischer ist eine andere Erklärung. Dafür müssen wir nochmal zurück zum Sachs-Wolfe-Effekt. Wir düfen ja nie vergessen, dass das Universum sich ausdehnt. Stellen wir uns ein Lichtteilchen der Hintergrundstrahlung vor, dass sich durch das Universum bewegt. Was passiert, wenn es sich durch eine Gegend bewegt, in der besonders viel Materie ist. Oder besonders wenig. Besonders viel Materie findet man in den Galaxienhaufen, beziehungsweise den Superhaufen, den Strukturen, die aus Galaxienhaufen bestehen. Das Gegenteil davon sind die Voids, also die gigantischen Leerräume, die zwischen den Superhaufen liegen. Wenn sich unser Photon jetzt also in so einen Galaxienhaufen hineinbewegt, dann gewinnt es zuerst Energie. Und wenn es sich wieder rausbewegt, dann verliert es Energie - genau das habe ich vorhin erklärt, als ich den Sachs-Wolfe-Effekt erklärt habe. Aber so ein Galaxienhaufen ist groß! Selbst Licht braucht lange, um diese Region zu durchqueren. In dieser Zeit hat sich das Universum weiter ausgedehnt und auch der Galaxienhaufen ist durch die Expansion des Kosmos ein bisschen weniger dicht geworden. Oder anders gesagt: Als das Lichtteilchen in den Haufen hineingeflogen ist, war der Raum noch stärker gekrümmt als später, als es wieder rausgeflogen ist. Das Lichtteilchen hat also beim Rausfliegen weniger Energie verloren als es beim Reinfliegen gewonnen hat. Das nennt sich "integrierter Sachs-Wolfe-Effekt" und der ganze Prozess verläuft umgekehrt, wenn das Lichtteilchen aus einer normalen Region des Universums in eine Void hinein und wieder hinausfliegt. Dann kriegt es beim Rausfliegen weniger Energie zurück als es vorher verloren hat. Es ist also kälter geworden, als es sein sollte und genau das ist vermutlich die Ursache für den kalten Fleck. Irgendwo in der Richtung, in der der kalte Fleck am Himmel zu sehen ist, muss eine enorm große Void sein, also ein enorm großer Bereich des Universums, in dem sich so gut wie nichts befindet. Wir kennen jede Menge solcher Voids im Universum, aber die, die für den kalten Fleck verantwortlich sein könnte, haben wir erst 2015 gefunden. Sie trägt, ebenfalls nach dem Sternbild, den Namen "Eridanus Supervoid". Sie ist wirklich super; irgendwas zwischen einer halben Milliarde und einer Milliarde Lichtjahre groß! Das ist wirklich viel nichts; das Licht das diese Void durchquert hat, braucht dann auch noch gut 2 Milliarden Jahre, bis es bei uns angekommen ist. Und auch wenn es nicht zweifelsfrei nachgewiesen ist, sieht doch alles danach aus, als sei dieses große Nichts im fernen Universum der Grund dafür, dass am Himmel ein zu kalter Fleck zu sehen ist.

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.