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Sternengeschichten Folge 651: Von-Neumann-Sonden und die maschinelle Besiedelung der Galaxis

Shownotes

Sternengeschichten Folge 651: Von-Neumann-Sonden und die maschinelle Besiedelung der Galaxis

Warum sehen wir - abseits der Erde - nirgendwo Spuren von Leben? Das ist erstens eine spannende Frage und zweitens eine sehr grundlegende, die uns Menschen immer schon interessiert hat. Ich habe darüber in den Folgen 410 und 515 der Sternengeschichten schon ausführlich gesprochen und auch erklärt, dass es jede Menge Gründe gibt, warum wir bis jetzt keine Spuren von Leben entdeckt haben. Wenn es um Leben allgemein geht, also irgendwelche Mikroorganismen, Algen, Pflanzen, und so weiter, dann sind wir gerade erst dabei, die notwendigen technischen und wissenschaftlichen Kenntnisse zu entwicklen, um so etwas nachweisen zu können, wenn es diese Art von Leben irgendwo anders gibt. Und intelligentes Leben ist wieder eine völlig andere Geschichte. Wir haben keine Ahnung, wie und warum und wie oft und wie schnell sich intelligentes Leben entwickeln kann und was "intelligentes Leben" überhaupt wissenschaftlich exakt definiert sein soll. Und dann wissen wir ja auch, dass es im Weltall sehr, sehr leer ist. Und der Raum zwischen den Sternen ist sehr, sehr groß. Es dauert dementsprechend sehr, sehr lange, wenn Lebewesen zwischen den Sternen hin und her reisen wollen und vermutlich länger, als irgendeine Art von Leben einfach so überleben kann.

Aber was ist mit Maschinen? Wir Menschen bauen schon seit längerer Zeit Maschinen, die ins All fliegen und wir haben schon diverse Himmelskörper im Sonnensystem mit diesen Maschinen besucht. Wir haben Maschinen gebaut, die irgendwann das Sonnensystem verlassen werden, wie zum Beispiel die beiden Voyager-Raumsonden, die schon seit den 1970er Jahren im All unterwegs sind. Wir werden solche Maschinen höchstwahrscheinlich auch in Zukunft bauen und es ist nicht unwahrscheinlich, dass wir irgendwann auch Sonden konstruieren, die gezielt auf den Weg zu anderen Sternen geschickt werden. Und wenn wir das können UND wenn wir mal davon ausgehen, dass es doch noch irgendwo anders intelligentes Leben gibt, dann stellt sich die Frage: Warum haben wir noch nie eine Alien-Raumsonde gesehen, die von anderswo ins Sonnensystem gekommen ist?

Auch hier gibt es ein paar naheliegende Antworten. Die erste ist die übliche: Das Universum ist halt wirklich sehr, sehr groß. Vielleicht fliegen die Dinger anderswo eh dauernd durch die Gegend, nur bei uns ist noch keine angekommen. Vielleicht haben wir sie auch einfach übersehen. Vielleicht fliegt irgendwo in den äußeren Bereichen des Sonnensystems so eine Sonde rum, die wir halt noch nicht entdeckt haben. Selbst das Sonnensystem ist viel zu groß und zu leer, als das wir alles untersuchen und jedes Objekt dort kennen können. Oder die Aliens haben keine Lust auf Weltraumforschung.

Sollte letzteres zutreffen, können wir wenig tun. Dann müssten wir schon selbst losfliegen und alle Sterne absuchen und damit ist in naher und auch ferner Zukunft eher nicht zu rechnen. Aber die Größe und Leere des Universums muss nicht unbedingt ein Hindernis sein. Wenn es nicht die Lebewesen selbst sind, die durchs All fliegen, sondern nur ihre Maschinen, dann spielen Zeit und Raum keine so große Rolle mehr. Einer Maschine ist es egal, wenn die Reise lange dauert. In den 1960er Jahren hat der australische Wissenschaftler Robert Bracewell zum Beispiel überlegt, dass man interstellare "Nachrichten-Sonden" bauen könnte. Das heißt: Wir bauen eine Raumsonde und schicken sie zu irgendeinem Stern. Dort schaut die Sonde, ob es intelligentes Leben gibt. Gibt es keines, dann wartet sie einfach, bis vielleicht irgendwann eine außerirdische Zivilisation entsteht. So oder so: Sobald da Aliens sind, schickt die Sonde eine Botschaft, wartet auf die Antwort der Aliens und sendet die zurück zur Erde. Das kann zwar dauern, aber technisch und wissenschaftlich ist so etwas durchaus möglich. Und wenn es für uns möglich ist, warum nicht auch für die Aliens? Warum haben wir noch nie so eine "Bracewell-Sonde", wie das Konzept mittlerweile genannt wird, gesehen?

Die Antwort lautet: Keine Ahnung. Aber ein Grund könnte der Aufwand sein. Es gibt viele Sterne und man müsste viele Sonden losschicken, wenn man eine reale Chance auf eine Antwort haben will. Es ist kaum vorstellbar, dass wir Menschen auch nur eine Bracewell-Sonde bauen, gar nicht zu reden von der Anzahl an Sonden, die nötig wären, um auch nur einen Bruchteil der hunderten von Milliarden Sternen abzudecken, die in unserer Milchstraße existieren.

Aber vielleicht ist es gar nicht nötig, so viele Sonden zu bauen? Womit wir jetzt bei dem wären, was im Titel dieser Folge steht: Den Von-Neumann-Sonden. Sie sind nach dem Mathematiker John von Neumann benannt, der sie aber gar nicht erfunden hat. Von Neumann hat sich unter anderem mit der Informatik beschäftigt. Oder besser gesagt: Er war einer der Menschen, die diese Wissenschaft ab den 1940er Jahren überhaupt erst entwickelt haben. Von Neumann ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass Computer heute so funktionieren, wie sie es tun. Und im Jahr 1953 hat er auch eine Theorie selbstreproduzierender Automaten entwickelt. Das ganze ist erst 1966, 9 Jahre nach seinem Tod, veröffentlicht worden und ein ziemlich komplizierter Aufsatz.

Das sich Lebewesen selbst replizieren können, wissen wir. Unsere ganze Biologie basiert darauf, dass Moleküle wie die DNA Kopien von sich selbst herstellen können. Wie das auch ein künstlicher Roboter tun könnte, hat John von Neumann in seiner Theorie erklärt. Das ganze war aber, wie gesagt, so kompliziert, dass es mit damaligen Mittel nicht umsetzbar gewesen wäre. Heute haben wir die Theorie ein bisschen weiterentwickelt und zumindest im Computer können wir simple Maschinen programmieren, die sich tatsächlich selbst kopieren und quasi fortpflanzen. Reale Roboter oder Maschinen zu bauen, die Kopien von sich selbst herstellen: Das können wir allerdings immer noch nicht.

Aber genau darauf basiert die Idee des amerikanischen Physikers Robert Freitas, die er im Jahr 1980 veröffentlicht hat. Man könnte doch eine Raumsonde bauen und sie zu einem anderen Sternensystem schicken. Dort kann die Sonde erstens schauen, ob es irgendwo Aliens gibt. Und zweitens ein paar Kopien von sich selbst anfertigen. Rohstoffe sollte es genug geben; auch bei anderen Sternen wird es ja zum Beispiel Asteroiden geben, die voll mit allen Ressourcen sind, die man braucht, wenn man irgendwas bauen will. Die neuen Sonden fliegen dann zu anderen Sternen und wiederholen den Vorgang.

Auf diese Weise kriegt man ein exponentielles Wachstum. Aus einer Sonde werden zwei, daraus werden vier, dann acht, dann sechszehn, und so weiter. Wenn sich so eine Sonde nur alle 100 Jahre verdoppelt, dann braucht es keine 10.000 Jahre, bis ein paar Quintillionen solcher "Von-Neumann-Sonden" durch die Milchstraße fliegen. Das sind ungefähr 10 Trillionen mal mehr Sonden, als es Sterne in der Milchstraße gibt. Und man müsste dafür nur eine einzige Sonde bauen!

Es braucht nur eine Zivilisation, die so ein Projekt startet, damit wir überall solche Sonden sehen könnten. Tun wir aber nicht. Auch dafür gibt es Gründe. Sehen wir mal vom offensichtlichen Grund ab, nämlich dass es keine anderen intelligenten Lebewesen in der Milchstraße gibt, dann sind die Aliens vielleicht auf die Idee gekommen, dass so eine selbstreplizierende Raumsonde auch gefährlich sein könnte. Denn was, wenn sie sich die Rohstoffe für ihre Kopien von einem schon bewohnten Planeten holt? Was wäre zum Beispiel, wenn so ein Ding ins Sonnensystem fliegt und einfach die Internationale Raumstation auseinander nimmt? Oder was, wenn die Sonde nicht nur 2, sondern 200, 2000 oder 2 Millionen Kopien von sich selbst anfertigt? Vielleicht ist beim langen Flug durchs All irgendwas mit der Programmierung durcheinander gekommen… Dann hätten wir einen maschinellen Heuschreckenschwarm, der unter Umständen ganze Planeten auseinander nimmt, um sich zu reproduzieren.

Und nur weil man einer Maschine sagt, sie solle sich selbst kopieren, muss sie das ja noch lange nicht schaffen. Bei jeder Kopie gibt es kleinste Fehler. Fehler, die sich bei den folgenden Kopien fortpflanzen und immer größer werden, bis die Maschine irgendwann nicht mehr funktioniert. Das Problem könnte man nur lösen, wenn man die Maschinen auf einem wirklich fundamentalen Level aufbaut. Sie müssten sich selbst Atom für Atom replizieren, um Fehler weitestgehend ausschließen zu können. Aber wie man so was anstellt: Davon haben wir absolut keine Ahnung. Das heißt nicht, das es unmöglich ist. Aber es könnte schwer genug sein, so dass die Aliens lieber andere Sachen machen als Von-Neumann-Sonden zu bauen.

In der Science-Fiction ist das Konzept natürlich dankbar aufgegriffen und in allen möglichen Variaten behandelt worden. Ob so etwas auch in der Realität möglich ist, wird sich zeigen. Entweder dadurch, dass wir selbst eine Von-Neumann-Sonde bauen. Oder wenn doch noch mal eine von ihnen bei uns im Sonnensystem auftauchen sollte…

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