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Sternengeschichten Folge 283: Alles dreht sich

Shownotes

Sternengeschichten Folge 283: Alles dreht sich

Alles dreht sich! Nicht nur, wenn man betrunken ist oder auf dem Kinderkarusell sitzt. Alles im Universum dreht sich! Alle Planeten drehen sich um ihre Achse. Alle Monde rotieren. Alle Asteroiden und Kometen. Alle Planeten, Monde, Asteroiden und Kometen bewegen sich auch um ihren Stern herum. Alle Sterne drehen sich. Alle Sterne bewegen sich um das Zentrum ihrer Galaxie herum. Galaxien rotieren. Alles dreht sich - aber warum? Das liegt an der Drehimpulserhaltung.

Fangen wir am Anfang an. Zumindest mal am Anfang der Entstehung unseres Sonnensystems. Wie es sich für Anfänge gehört, war es damals noch gar nicht da. Auch nicht die Sonne. Es gab nur eine große Wolke aus Gas und Staub. Eine wirklich große Wolke, viele Lichtjahre groß! Die Gasmoleküle und Staubteilchen in dieser Wolke haben sich bewegt. Denn alles muss sich im Universum bewegen. Alles wird ja durch die Gravitationskraft von allem anderen beeinflusst, ein Stillstand ist da nicht möglich. Das wäre höchstens dann möglich, wenn es nur ein einziges Objekt im ganzen Universum geben würde und dann wäre der Begriff der Bewegung ja sowieso bedeutungslos, weil das Wort keinen Sinn macht, wenn man nicht dazu sagen kann, in Bezug auf was sich etwas bewegt. Aber für unser Universum trifft das sowieso nicht zu, denn hier gibt es ja offensichtlich sehr viel Zeug. Und das bewegt sich.

Die Gasteilchen der riesigen Wolke bewegen sich also. Einige vielleicht schneller, die meisten aber vergleichsweise langsam. Wir dürfen uns keine herumwirbelnden Gasströme vorstellen. Die interstellaren Wolken sind keine "Wolken" wie wir sie von unserem irdischen Himmel kennen. Wir finden dort nur ab und zu mal ein Gasatom, aus unserer Sicht sähe das Innere so einer Wolke wie ein perfektes Vakuum aus. Aber die Wolke ist eben enorm groß und insgesamt sind dort jede Menge Atome. Und die bewegen sich langsam durch die Gegend.

Und wenn sich nichts ändert, dann bleibt alles so. Aber in der Wolke aus der unser Sonnensystem entstanden ist, hat sich etwas geändert. Die Gasteilchen dort wurden ein wenig gestört. Vielleicht weil ein Stern in der Nähe vorbei gezogen ist und mit seiner Gravitationskraft die Wolke ein bisschen durchgewirbelt hat. Vielleicht ist auch ein anderer Stern in der Nähe explodiert und hat so für eine Störung gesorgt. Wie auch immer: In einer bestimmten Region der Wolke sind die Gasteilchen ein wenig näher zusammengerückt als vorher. Es ist ein "Klumpen" entstanden und weil dort mehr Teilchen versammelt waren als anderswo in der Wolke, hat dieser Klumpen nun mehr Gravitationskraft auf seine Umgebung ausgeübt als der Rest der Wolke. Noch mehr Gas aus der Wolke bewegte sich in Richtung Klumpen, was eine noch stärkere Gravitationskraft bedeutet, und so weiter. Kurz gesagt: Die Wolke fing an zu kollabieren.

Und jetzt sind wir wieder bei der Drehimpulserhaltung. Der Drehimpuls ist - simpel gesagt - die Menge an Rotationsenergie die in einem System steckt: Wie schnell und wie stark rotiert das Zeug, aus dem das System besteht. Im Sonnensystem steckt ein Teil der Drehenergie zum Beispiel in der Rotation von Sonne, Planeten, Monden, Asteroiden um ihre jeweiligen Achsen. Ein Teil der Drehenergie steckt aber auch in der Bewegung all dieser Himmelskörper um die Sonne. Und selbst jedes kleine Staubteilchen, dass sich um die Sonne bewegt, trägt einen kleinen Teil zum gesamten Drehimpuls des Sonnensystems bei.

Der Drehimpuls hängt von drei Dingen ab: Welche Masse hat das Ding, das sich dreht? Welche Ausdehnung hat das Ding, das sich dreht bzw. wie groß ist der Abstand des Dings von dem Punkt, um den es sich dreht? Und: Wie schnell dreht sich das Ding? Betrachten wir jetzt nochmal unsere Gaswolke. Die Bewegung der einzelnen Gasteilchen kann man auch als Drehung interpretieren. Aus Sicht eines Beobachters, der sich im Zentrum der Wolke befindet, bewegen sich alle Teilchen wenn auch langsam und unregelmäßig, irgendwie um das Zentrum herum. Die Bewegung jedes Teilchens trägt zum gesamten Drehimpuls der Wolke bei. Jetzt kollabiert unsere Wolke. Das heißt, ihre Ausdehnung wird kleiner. Ihre Masse bleibt aber gleich; die Teilchen rücken ja nur näher zusammen, verschwinden aber nicht. Wenn die Masse gleich bleibt und die Ausdehnung kleiner wird und der gesamte Drehimpuls gleich bleiben muss, dann gibt es dafür nur eine Möglichkeit: Die Drehgeschwindigkeit muss schneller werden!

Genau das passiert auch: Je weiter die Wolke kollabiert; je dichter der Klumpen wird, desto schneller wird sich das Material dort um das Zentrum des Klumpens bewegen. Irgendwann ist der Klumpen dann so dicht, dass er zu einem Stern geworden ist. Und dieser Stern dreht sich um seine Achse. Er kann gar nicht anders, weil der Drehimpuls der ursprünglichen Wolke erhalten bleiben muss. Man kann das auch leicht mal selbst ausprobieren. Setzt euch auf einen Drehstuhl oder -hocker und dreht euch, mit ausgestreckten Armen. Wenn ihr die Arme dann dicht an den Körper zieht, macht ihr das gleiche wie die Wolke. Ihr "kollabiert" quasi, werdet kleiner und dichter. Und genau wie die Wolke werdet ihr euch dann auch schneller drehen.

Und genau deswegen rotieren auch die Planeten. Sie entstehen aus dem Material der Wolke, das nicht zum Stern wurde. Dieses ganze Zeug ist ebenfalls näher an den Stern gerückt; ist ebenfalls viel dichter als zuvor in der Gaswolke. Und hat dadurch ebenfalls angefangen, schneller zu rotieren. Der Stern ist nun von einer Scheibe aus Material umgeben. Es ist deswegen eine Scheibe, weil die Erhöhung der Rotationsgeschwindigkeit zu einer Abplattung geführt hat. Man kann sich das so vorstellen: In der Wolke haben sich die Teilchen in alle drei Raumrichtungen bewegt. Der gesamte Drehimpuls der Wolke lässt sich durch eine Drehung der Wolke in einer bestimmten Ebene beschreiben; übrig bleibt dann eine Auf- und Ab-Bewegung der Teilchen, bei der sie während ihrer Drehung um das Zentrum der Wolke immer wieder diese Ebene durchstoßen. Solange die Wolke eine große Wolke ist und viel, viel Platz zwischen den Teilchen, tut sich nicht viel. Aber wenn die Wolke kollabiert und die Teilchen näher zusammenrücken, kommt es immer wieder zu Kollisionen. Jedes Mal wenn ein Teilchen von oben nach unten bzw. unten nach oben durch die Drehebene wandert und dabei mit einem anderen Teilchen kollidiert, verliert es ein wenig der Bewegungsenergie der Auf-und-Ab-Bewegung. Im Laufe der Zeit haben sich so alle Teilchen innerhalb der Drehebene angeordnet. Wir haben eine Scheibe, die den Stern umgibt. Eine Scheibe, in der sich das ganze Zeug um den Stern herum bewegt und auch diese Drehenergie muss erhalten bleiben, wenn sich das Material nun dort zusammenklumpt um größere Objekte zu bilden. Deswegen drehen sich auch die Planeten die so entstehen. Sie bewegen sich um den Stern und sie rotieren um ihre Achse.

Alles dreht sich und schuld daran ist die Drehimpulserhaltung. Aber wo kommt eigentlich die Drehimpulserhaltung her? Wer sagt, dass Drehimpuls niemals verloren gehen kann? Das sagt Emmy Noether. Beziehungsweise sagt es eigentlich das Universum selbst. Die Drehimpulserhaltung ist ein fundamentales Naturgesetz. Aber die deutsche Mathematikern Emmy Noether hat erklärt, wie solche Erhaltungsgrößen mit den grundlegenden Eigenschaften des Universums zusammenhängen. Über das Leben und das nach ihr benannte "Noether-Theorem" habe ich schon in Folge 182 der Sternengeschichten ausführlich erzählt. Noether hat festgestellt: “Zu jeder kontinuierlichen Symmetrie eines physikalischen Systems gehört eine Erhaltungsgröße.” Das klingt tiefsinnig und das IST auch tiefsinnig. Und man muss sehr lange in Ruhe darüber nachdenken um zu verstehen, was damit gemeint ist. Mit Symmetrie meint Noether hier etwas, das man bei einem physikalischen System verändern kann, ohne das sich etwas ändert. Es macht zum Beispiel keinen Unterschied, ob ich ein Experiment heute, morgen oder in 20 Jahren durchführe. Den Naturgesetzen ist mein Terminkalender völlig egal; sie verhalten sich immer gleich und verändern sich nicht. Diese Symmetrie nennt man "Homogenität der Zeit"; es gibt aber auch eine, die sich "Isotropie des Raums" nennt. Damit ist gemeint, das bei den Naturgesetzen keine Richtung des Raums irgendwie besser oder wichtiger ist als die anderen beiden. Alle Richtungen sind gleichwertig und deswegen ist es zum Beispiel auch egal, ob ich ein physikalisches Experiment mache und dabei nach Norden schaue oder etwa nach Osten. Solche Symmetrien führen nun, wie Noether festgestellt hat, dazu, dass sich eine bestimmte Größe im System nicht ändern kann. Bei der Isotropie des Raums ist das genau der Drehimpuls. Eben weil es keine besondere Richtung im Raum gibt, kann sich die Menge an Rotationsenergie nicht plötzlich ändern und muss erhalten bleiben.

Es ist schwer, sich das wirklich vorzustellen. Ich probiere es mal mit einem etwas schiefen Vergleich. Stellen wir uns eine unendlich ausgedehnte, absolut flache Ebene vor. Egal wo auf dieser Ebene wir uns befinden, alles sieht immer gleich aus und alles verhält sich immer gleich. In meiner Tasche habe ich eine Handvoll Murmeln und schmeisse sie an unterschiedlichen Orten der Ebene auf den Boden. Egal wo ich das tue: Die Zahl der Murmeln die ich danach von der Ebene aufsammle, ist immer genau so groß wie die Zahl der Murmeln, die ich vorher weggeworfen habe. Man könnte sagen: Die Murmelzahl bleibt immer erhalten und sie bleibt deswegen immer erhalten, weil die Ebene eine Symmetrie besitzt; weil es hier völlig egal ist, WO ich stehe und mein Murmelexperiment ausführe. Jetzt stellen wir uns eine Ebene vor, die irgendwo ein Loch hat. Wenn nun bei meinem Experiment ein paar der Murmeln in dieses Loch fallen, ist die Murmelzahl nicht mehr erhalten. Und sie ist es deswegen nicht, weil die Ebene jetzt keine Symmetrie mehr besitzt. Weil es nicht mehr egal ist, WO ich mein Experiment durchführe.

So ähnlich ist es auch mit dem Drehimpuls und der Isotropie des Raums. Die Richtung spielt keine Rolle und deswegen ist der Drehimpuls immer erhalten. Alles dreht sich im Universum. Weil es keine besondere Richtung gibt.

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