Sternengeschichten Folge 182: Emmy Noether und die Erhaltungssätze der Physik
Shownotes
Sternengeschichten Folge 182: Emmy Noether und die Erhaltungssätze der Physik
Emmy Noether war eine der bedeutensten deutschen Mathematikerinnen und hat auch in der theoretischen Physik fundamentale Erkenntnisse gewonnen. Trotzdem hört man über ihr Leben und ihre Arbeit viel weniger, als es eigentlich angemessen wäre. In der Öffentlichkeit interessiert man sich zwar generell - leider - wenig für Mathematiker und Mathematikerinnen und es gibt hier viel weniger berühmte und allgemein bekannte Namen als in anderen Wissenschaftsdisziplinen. Aber wenn es jemand verdient hätte, überall bekannt zu sein, dann Emmy Noether.
Sie wurde am 23. März 1882 in Erlangen geboren. Ihr war Vater Mathematiker an der dortigen Universität; sie selbst war aber trotzdem in ihrer Kindheit und Jugend eher wenig an der Mathematik interessiert. An der "Höheren Töchterschule" von Erlangen die sie besuchte, wurde auf Mathematik auch kein besonderer Wert gelegt. Ihre erste Ausbildung schloss Emmy Noether im Jahr 1900 als Lehrerin für Englisch und Französisch ab.
1903 durften Frauen endlich auch an bayrischen Universitäten studieren. Noether schrieb sich an der Uni Erlangen ein und ging dort ihrem spät erwachten Interesse an der Mathematik nach. Schon 1907 promovierte sie und war damit die zweite deutsche Frau überhaupt, die an einer deutschen Universität einen Abschluss in Mathematik erlangte. Die erste war Marie Gernet an der Universität Karlsruhe, die nach ihrer Dissertation allerdings keine Laufbahn in der Forschung verfolgte.
Emmy Noether aber tat das und war bei ihrer Arbeit extrem erfolgreich. Sie wurde nach Göttingen eingeladen, das damals weltweit führende Zentrum der mathematischen Forschung um dort gemeinsam mit Felix Klein und David Hilbert zu arbeiten. Noether wollte sich an der Universität Göttingen auch habilitieren und traf dabei auf die Widerstände, die Frauen in der Wissenschaft damals ständig zu schaffen machte. Der Großteil der Fakultät war gegen die Habilitation von Noether. Frauen hätten an einer Universität nichts zu suchen und wenn sie schon unbedingt studieren mussten, dann sollten sie nicht auch noch die Möglichkeit haben, eine akademische Karriere zu verfolgen. David Hilbert, einer der bedeutensten Mathematiker des 20. Jahrhunderts, verteidigte Noethers Antrag, unter anderem mit den Worten: "Eine Fakultät ist doch keine Badeanstalt".
Schließlich stimmten die Kollegen der Göttinger Fakultät zu; habilitiert wurde Noether aber trotzdem nicht. Das war an preussischen Universität untersagt und das zuständige Ministerium weigerte sich, eine Ausnahme zuzulassen. Noether konnte zwar Vorlesungen an der Uni Göttingen halten, musste sie aber unter Hilberts Namen ankündigen - und bezahlt wurde sie dafür natürlich ebenfalls nicht.
Erst nach dem ersten Weltkrieg wurden Frauen zur Habilitation zugelassen und Emmy Noether konnte sich 1919 als erste Frau Deutschlands in Mathematik habilitieren. Eine Professur bekam sie allerdings erst 1922 und bezahlt wurde sie für ihre Lehre erst ab 1923. 10 Jahre später übernahm die Nazis die Macht in Deutschland und der Jüdin Noether wurde die Lehrerlaubnis wieder entzogen. Sie ging in die USA und arbeitete dort als Gastprofessorin, bevor sie am 14. April 1935 viel zu früh an den Folgen einer Operation verstarb.
Angesichts der Schwierigkeiten denen sie als Frau im Wissenschaftsbetriebs des frühen 20. Jahrhunderts gegenüber stand und ihres kurzen Lebens hat sie ein erstaunlich umfangreiches und vielfältiges Werk hinterlassen.
Noethers Leistungen in der Mathematik sind anschaulich nur schwer zu erklären. Sie hat sich vor allem mit der Algebra beschäftigt. Vereinfacht gesagt ist das die grundlegende Disziplin, in der es um das Lösen von Gleichungen mit Unbekannten geht. Die Art von Gleichungen die man aus der Schule kennt und in der immer irgendwo ein "x" vorkommt, das man bestimmen muss. Noethers Arbeit war aber natürlich sehr viel spezieller und komplexer als das, was man in der Schule lernt - ihr Arbeitsgebiet heißt nicht umsonst "abstrakte Algebra". Dabei geht es um bestimmte Strukturen die so ähnlich funktionieren wie die Grundrechenarten, dabei aber viel allgemeiner gefasst sind. Zum Beispiel "Ringe" - aber jetzt genau zu erklären, was Ringe in der Mathematik sind, würde zu weit führen. Noether hat auf diesem Gebiet auf jeden Fall so grundlegende Arbeit geleistet, dass heute in dieser Disziplin das Adjektiv "noethersch" existiert und Ringe bzw. andere algebraische Strukturen mit bestimmten Eigenschaften beschreibt. Genau so gibt es den Noetherschen Normalisierungssatz, die Noethersche Ordnung, den Noetherschen Raum, den Noetherschen Modul, den Satz von Lasker-Noether über die Primärzerlegung von noetherschen Ringen, und so weiter. Noether hat sich neben der Algebra auch mit der Topologie beschäftigt; mit hyperkomplexen Zahlen, mit der Galoistheorie und vielen anderen Themen.
Ganz besonders bekannt ist sie aber für ihren Beitrag zur theoretischen Physik. Einer der Gründe, aus denen Noether damals von Hilbert und Klein nach Göttingen eingeladen wurde, war die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein. Die mathematischen Methoden die Einstein dafür verwendete waren genau das damalige Spezialgebiet von Noether und Hilbert hoffte, dass sie ihm bei einem Problem helfen konnte, auf das er gestoßen war. Seiner Meinung nach verletzte die allgemeine Relativitätstheorie den in der Physik so wichtigen Energieerhaltungssatz. Also begann Noether sich mit Erhaltungsgrößen zu beschäftigen und fand das, was heute als Noether-Theorem bekannt ist.
Die Details sind auch hier sehr kompliziert, aber die grundlegende Aussage lässt sich auch hier in einem Satz zusammenfassen: "Zu jeder kontinuierlichen Symmetrie eines physikalischen Systems gehört eine Erhaltungsgröße."
Eine "Symmetrie" ist in diesem Zusammenhang - vereinfacht gesagt - alles was man mit einem physikalischen System anstellen kann, ohne dabei dessen Verhalten zu ändern. Wenn man zum Beispiel irgendein Experiment durchführt, dann sollte es keine Rolle spielen, ob man dieses Experiment in Wien oder in Berlin durchführt. Die physikalischen Gesetze sind da wie dort die selben und die Transformation von einem Ort zum anderen beeinflusst das Ganze nicht. In der Physik nennt man das die "Homogenität des Raums" und sie stellt genau so eine Symmetrie dar, wie Noether sie untersuchte. Eine andere Symmetrie wäre die Homogenität der Zeit: Es spielt keine Rolle, ob man ein Experiment Montags, Dienstags oder Donnerstag in 100 Jahren durchführt. Oder die "Isotropie des Raums", die besagt, das die Richtung im Raum keine Rolle spielt.
Diese drei Symmetrien sind anschaulich verständlich, aber Noether hat ihr Theorem viel allgemeiner gefasst. Wenn man ein System aus Gleichungen hat und diese Gleichungen auf eine Art und Weise transfomieren kann, so dass sich vielleicht das Aussehen der Gleichungen ändert, aber nicht das Verhalten das sie beschreiben: Dann stellt diese Transformation eine Symmetrie dar. Und wenn es in einem System aus Gleichungen eine solche Symmetrie gibt, dann gibt es immer auch eine ganz konkrete Größe, die sich nie ändert und immer erhalten bleiben muss, egal was passiert.
Bei den physikalisch anschaulichen Beispielen von vorhin sind das die aus dem Physikunterricht bekannten Erhaltungsgrößen: Aus der Homogenität der Zeit folgt die Erhaltung der Energie, aus der Homogenität des Raums die Erhaltung des Impulses und aus der Isotropie des Raums die Drehimpulserhaltung.
Das Noether-Theorem spielt aber auch in vielen anderen Bereichen eine Rolle. In der modernen Teilchenphysik erklärt es zum Beispiel Erhaltungsgrößen wie die elektrische Ladung. Albert Einstein war äußerst begeistert von Noethers Arbeit; und nach ihrem Tod schrieb er in der New York Times, dass sie das "bedeutenste kreative mathematische Genie" sei, dass "seit der Einführung der Hochschulbildung für Frauen" aufgetreten ist und sie in einem "Bereich der Mathematik das die begabtesten Mathematiker seit Jahrhunderten beschäftigt hat, neue Methoden von enormer Bedeutung entdeckt hat". Einstein stand mit seiner Meinung über Noether nicht alleine da; sie wurde von so gut wie allen Kollegen in den höchsten Tönen gelobt. Der Mathematiker Norbert Wiener schreib zum Beispiel über sie: "Frau Noether ist die größte Mathematikern die jemals lebte, die größte zeitgenössische Wissenschaftlerin irgendeiner Disziplin und eine Forscherin die mindestens mit Marie Curie verglichen werden muss".
Das Noether-Theorem gehört zu den wichtigsten - und außerhalb der Physik leider auch unbekanntesten - Grundlagen der modernen Naturwissenschaft. Emmy Noether gehört zu den wichtigsten - und leider auch außerhalb der Physik und Mathematik unbekanntesten - Wissenschaftlern der Neuzeit.
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